Der Eiserne König
Schulterblatt befand sich zudem ein großes Muttermal; dort kreuzten sich die meisten Bänder. Und sie verschlangen sich zu einer Form, die, wenn man die Augen zusammenkniff, an einen Baum erinnerte. »Links oben«, murmelte er. »Nordwesten. Wenn dies die Karte von Pinafor ist, muss das der Greting sein.«
»Die Esche steht im Greting?«, fragte Hardt verblüfft.
»Dort ruht der Eiserne König«, sagte Horn.
»Der Greting hat viele Geheimnisse«, sagte die Muhme. »Es ist ein zerklüftetes, höhlenreiches Sandsteingebirge, das fast ganz von Isarnho bedeckt ist, dem uralten Eichenwald.«
»Ich sehe noch mehr«, sagte Sneewitt. »Diese Bänder und Punkte …« – sie zeigte auf die rechte Schulter – »… stellen Fusel und Dunkelpfuhl dar.«
»Und da, über der rechten Pobacke«, fügte Kunz hinzu, »das ist der Lohwald.«
Maleen wurde kalt. Sie zog ihr Kleid wortlos über und hüllte sich in eine Decke.
»Also im Greting«, knurrte der Dachs. »Aber wo genau?«
»Das finden wir heraus«, erwiderte Hans. »Vielleicht gibt uns die Karte auf dem Rücken noch mehr Hinweise. Wir brechen gleich auf. Packt alles ein und sattelt die Pferde.«
Am Nachmittag ritten die auf acht angewachsenen Gefährten auf die Sonne zu, die über der kargen Landschaft unterging. Dachs und Fuchs waren als Späher vorausgeeilt. Die Pferde trabten munter dahin, und ein Schimmel zog die Trage mit dem fiebernden Horn.
»Mein Hut«, flüsterte er. »Der Sturm hat mir meinen Hut gestohlen. Habt ihr Ranzen und Horn?«
»Ja«, beruhigte ihn die neben ihm reitende Sanne und klopfte auf ihre Satteltasche. »Keine Sorge.«
Manchmal liefen ihnen Heidschnucken über den Weg, die ihre Herde verloren hatten. Beim Anblick der Reiter ergriffen sie blökend die Flucht.
»Die Biester müssten geschoren werden«, sagte Hardt.
»Das kümmert die Leute nicht«, erwiderte Sneewitt. »Denk an die Dorfschenke: Solange sie das geheimnisvolle Gold in der Tasche haben, saufen sie sich lieber die Hucke voll.«
Sie lagerten über Nacht zwischen Wacholdern, die im Dunkel wie mahnende Finger aufragten. Die Muhme verband Horn mit frischen Heilkräutern. »Er hat keinen Wundbrand«, sagte sie. »Aber er wird noch eine Weile fiebern.«
Am frühen Nachmittag des zweiten Tages kehrten Dachs und Fuchs mit der Neuigkeit zurück, dass in der Ferne ein großer Wald zu sehen sei.
»Das ist der Föhrenforst«, sagte Sneewitt.
»Ein verrufener Ort«, murmelte Kunz. »Man hört häufig von Männern, die dort spurlos verschwinden, ob auf der Jagd oder beim Pilzesammeln. Angeblich hausen dort Hexen.«
»Altweibergewäsch«, brummte der Dachs. »Hexen gibt es nur im Lohwald.«
Bei der Erwähnung der Hexen zuckte Hans zusammen. »Gut möglich«, sagte er. »Aber nicht einmal Räuber trauen sich in den Föhrenforst.«
»Wir könnten ihn umgehen«, meinte die Muhme. »Das würde aber viel Zeit kosten, und wir wissen nicht, was unsere Feinde im Schilde führen.«
»Die Rinde der Föhren ist rötlich vom Blut der Gehenkten, Gemarterten und Gemeuchelten!«, munkelte Kunz.
Meister Grimbart verdrehte die Augen.
»Nach allem, was ich erlitten habe, fürchte ich nichts mehr«, sagte Maleen. »Wenn der Weg durch den Forst kürzer ist, bin ich dafür, ihn zu nehmen. Ich habe meine Halbbrüder erlöst, und ich will gern helfen, die Gefahr von Pinafor abzuwenden. Wir müssen die Esche so rasch wie möglich finden.«
Alle Männer drehten sich zu ihr um. Hardt zupfte an seinem Kinnbart. »Tja«, murmelte er. »Wenn sogar die Frauen dafür sind …«
»Was soll das heißen:
Sogar
die Frauen?«, zischte Sneewitt.
»Frauen sind die klügeren Menschen«, erklärte der Fuchs.
»Hör auf zu schleimen, du Held«, knurrte Meister Grimbart.
Hans rang mit sich, denn seine alte Angst war erwacht. Er dachte an die Hexe, die ihn damals hatte fressen wollen. Aber er überwand sich und sagte: »Also gut. Wir reiten durch den Forst.«
Hardt nickte. »Föhrenwälder sind licht. Dort kann man uns nicht so leicht in einen Hinterhalt locken.«
Die Truppe trabte weiter über die Hohe Heide. Wie Meister Grimbart besorgt zur Kenntnis nahm, begann auch das Birkenlaub, sich grau zu verfärben.
Der nächste Tag war wärmer. Insekten waren unterwegs, und eine Mücke landete auf Hans’ Arm. »Eine Blutspende, bitte«, surrte sie. Dann stach sie zu und saugte genussvoll.
»Klatsch das Biest ab«, sagte Kunz.
»Wie oft wird sinnlos Blut vergossen?«, fragte Hans. »Das hier ist wenigstens
Weitere Kostenlose Bücher