Der Eiserne Rat
Fäden ruckweise nach oben gezogen werden.
- Was ist los?, erkundigt sich Judah, aber der Mann, den er angesprochen hat, zeigt nur aufgeregt zum Kamm der Anhöhe. – Sieh doch! Sieh!, sagt er. – Kommt, da ist er.
Über dem Hügelkamm schwillt eine Harmonie, als hätten die Steine, die Büsche eine Stimme bekommen, sängen einen aberranten Hymnus. Geschrei von den Leuten, die oben angelangt sind, sie machen taumelnd kehrt, stolpern und schlittern auf dem losen Geröll abwärts. Einige fallen hin, stoßen mit anderen zusammen. Judah findet Halt an Wurzeln und wird nicht mitgerissen.
Der tremolierende Gesang, der Chor der Wildnis in Angst, ist laut. Da hängt eine Spinne über ihm. Nein, nein, das ist nicht, kann nicht eine Spinne sein, diese monströse Erscheinung kann unmöglich das sein, was ihre Form glauben machen will, groß wie ein Baum, ein Baum immensen Umfangs mit ausgebreiteten Wurzeln in vollkommener Symmetrie, der nicht sein kann und doch ist, was er ist. Es ist eine Spinne, unermesslich viel größer als der größte Mensch.
- Weber.
- Weber.
Sie sprechen es aus. Ihre Stimmen sind jenseits von Angst, tonlos vor Ehrfurcht.
Weber. Die Spinnen, die nicht Götter sind, die etwas dermaßen anderes sind, um so viel fremder als Mensch oder Xenianer oder Dæmon oder Archon, dass sie sich der Vorstellungskraft entziehen; ihre Macht, ihre Beweggründe, ihre Bedeutung sind undurchsichtig wie Eisen. Kreaturen, die kämpfen, morden, sterben und alles ihrem Begriff von Schönheit entsprechend umgestalten, der Komplexität des Netzes zuliebe, welches das Universum ist, das sie sehen, eine Verknüpfung von Fäden in einer die Grenzen des Möglichen überschreitenden spiraligen Symmetrie.
Lieder über Weber fallen Judah ein. Schreckreime für Kinder, minderwertiges Gesäusel – Versprach er mir/sie sollt die meine sein/erstickt sie im Gespinste sein/das Weberschwein –, Absurditäten, alberne Pantomimen. Indem er aufblickt zu dem Ding in einer Aura aus Un-Licht, erkennt er die Lieder als das, was sie sind: Atome, unmessbar winzige Partikel Dummheit.
Der Weber hängt über ihnen in absoluter Regungslosigkeit. Eine tintige, tropfenförmige Kugel, ein stumpfschwarzer Kopf. Vier lange Beine, stumpfwinklig herabhängend, laufen in dolchfeine Spitzen aus, vier weiter oben scheinen die Fäden eines unsichtbaren Netzes zu greifen. Drei, vier Meter lang und nun – was, was ist das? – dreht er sich gravitätisch, um die Breite eines Haares, und die Welt scheint anzuhalten. Judah fühlt ein Zupfen, ein Ziehen, als wäre die Welt gefangen in Seidenfäden, die der Weber bündelt, indem er sich dreht.
Judah hört sich einen kehligen, unartikulierten Laut ausstoßen, er wird ihm entrungen von den unsichtbaren Fäden des Webers, als ein Ausdruck nicht geforderter Anbetung.
Auf der Hanglehne verstreut stehen die Männer und Frauen von der Eisenbahn wie gelähmt von dem Schauspiel. Einige versuchen, den Bann abzuschütteln und zu fliehen, und einige Toren kriechen näher heran wie zum Kotau, aber die meisten, wie Judah, stehen still und schauen.
- Nicht berühren, bleibt weg davon, das ist ein verdammter Weber, hört man eine Stimme irgendwo aus den hinteren Reihen. Die Felsen fahren fort zu singen, und nun stimmt der Weber mit ein.
Seine Stimme dringt aus den Steinen hervor. Seine Stimme ist ein Vibrieren im Staub.
… EINS UND EINS UND ZWEI UND ROT ROT-SCHWARZ ROT-BLAU SCHWARZ DURCH BERGSPALT DRAHTSPINNGE-WEB GESTRICK GESCHICK BAUT FÜR HEUTIGE KÜNFTIGE MEIN GLEIS-GELEIS KINDER MINDERLINGE WELCH STEINDRÖHNEN UND STAUBTROMMELN IHR ENTFESSELT KLOPF KLOPF KLOPF EIN METRUM AUS HAMMER UND STEIN …
Seine Stimme deklamiert stentorisch, die kleinen Steine auf dem Hang hüpfen und springen im Takt.
… ESST MUSIK ESST KLANG BESELIGT DEN PULS PULSILOGUM DIE MAGIE …
Gedanken und die Textur von Dingen werden eingefangen und herangezogen gleich Fischen im Netz.
… MAHLT UND MALMT HEGT UND ENTSCHMETTERT EUER NAME SEI RAKAMADEVA IHR BRECHT UND BIEGT HINWÄRTS ZU DEM WAS EUER BAU GEWESEN SEIN WIRD …
Und der Weber winkelt seine Beine an und sinkt herab wie abgespult an einem Nicht-Faden von seinem Drehpunkt im Netz, saugt alle vorhandene Helligkeit auf, als wäre er die einzige Wirklichkeit. Judah hingegen samt dem Boden, auf dem er steht und den fadenscheinigen Bäumen, sind alle Bilder aus alter Zeit, ausgeblichen, auf denen eine lebenspralle Spinne einherstilettiert.
Der Weber hebt eins nach dem anderen die Beine,
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