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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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bedeuten?, dachte er. Was versuchst du mir zu erklären?
    »Für uns ist die Zeit gekommen, etwas zu Ende zu bringen. Was immer geschieht. Wir müssen zurückkehren, verstehst du?« Und mehr wollte sie nicht sagen.
     

     
    Die Freunde des Wisperschmieds, die unerwarteten Retter aus der Not, galoppierten davon, nach Osten, nach Süden; der von den Pferdehufen aufgewirbelte Staub sank herab, und sie waren fort. Drogon blieb. Cutter fragte sich, warum.
    »Was denkst du, was diese Leute tun sollten? Du warst in der Stadt, du weißt, dass wir ins offene Messer laufen.«
    »Mag sein.« Drogon zuckte die Schultern. »Ihnen ist klar, was sie erwartet. Wer bin ich, ihnen zu sagen, was sie tun sollen? Sie können nicht mehr umkehren. Du setzt deinen Fuß auf einen Weg, und ab einem gewissen Punkt bestimmt dieser Weg, was du tust. Sie müssen weiterfahren.«
    Diskutieren hat hier keinen Zweck, grübelte Cutter. Er war entsetzt von dieser, wie es für ihn aussah, Schicksalsergebenheit. Bei einer Diskussion würden sie den Kürzeren ziehen, doch obwohl ihnen das bewusst ist, fahren sie weiter, denn indem sie sich gegen die Tatsachen stemmen, verändern sie sie. Eine Denkmethodik, die ihm völlig fremd war, die er nicht nachvollziehen konnte. Logisch? Er wusste es nicht.
     

     
    Die Weiterfahrt des Eisernen Rats führte durch eine Nebelwelt. Die Steilhänge und flachen Hügel, die Phalangen der Bäume zeigten sich als vorübergehende Verdichtungen von Feuchtigkeit in der Luft, schienen im Dunst zu Formen zu gerinnen, wenn der Ewige Zug kam, und lösten sich hinter ihm wieder auf.
    Immer vertrauter erschien ihnen die Umgebung, alte Erinnerungen wurden wach. Man atmete bereits die Luft New Crobuzons. Zeisige hüpften und flatterten in tropfenden Schwarzdornbüschen. Dies war ein New Crobuzoner Winter. Noch lagen allerdings bis New Crobuzon einige Wochen Reise vor ihnen.
    »Wir hatten einmal einen Mann bei uns, viele, viele Jahre ist das her«, erzählte Ann-Hari Cutter. »Als der Weber uns besuchte und uns Rätsel aufgab. Bevor wir der Eiserne Rat waren. Der Mann verlor den Verstand, er konnte über nichts anderes reden als über den Weber. Er war wie ein Prediger. Aber dann war er langweilig, und irgendwann war er nicht einmal mehr langweilig, sondern einfach gar nichts. Wir haben ihn nicht mehr gehört, verstehst du? Wir hörten ihn nicht, wenn er redete.
    Genauso ist es mit dir. ›Kehrt um, kehrt um.‹ Wir hören dich nicht mehr, Cutter.«
     

     
    Ich habe eine Mission, dachte Cutter. Ich habe versagt. Zu wissen, dass der Mann, den er liebte, damit gerechnet hatte, half nicht gegen die Niedergeschlagenheit.
    Er wurde ein Geist. Man behandelte ihn mit Respekt – er war einer von denen, die einen Kontinent durchquert hatten, um den Eisernen Rat zu warnen. Seine beharrlichen Überzeugungsversuche, seine gebetsmühlenartige Wiederholung, der Eiserne Rat sei auf der Fahrt ins Verderben, traf auf höfliches Desinteresse. Ich bin ein Geist.
    Niemand zwang ihn zu bleiben. Er hätte sich ein Pferd nehmen können und wegreiten. Die Vorberge, die überwachsenen Geleise, Rudewood, endlich New Crobuzon. Er konnte es nicht. Ich gehöre jetzt hierher, war sein einziger Gedanke. Er würde erst dann gehen, wenn er keine andere Wahl mehr hatte.
    Er war mit den Karten vertraut. Die vorgesehene Route führte weiter nach Westen. Eine breite Fährte aus Nagellöchern, vom Gewicht des Zugs flach gewalzter Schotter, der endlose Kreislauf von Schwellen und Schienen, bis man zu guter Letzt auf das Stück Bahnstrecke traf, das wie ein abgeschnittener Arm ins Land ragte, Dutzende Meilen südlich von New Crobuzon. Dort würden sie den Anschluss an das alte Gleis herstellen und weiterdampfen und innerhalb weniger Stunden in Sichtweite der Stadt gelangen.
    Cutter würde den Rat verlassen, wenn er keine andere Wahl mehr hatte. Aber nicht jetzt.
    »Wir sind eine Hoffnung«, sagte Ann-Hari.
    Vielleicht hat sie Recht. Der Zug wird kommen, die Letzten des Kollektivs werden sich erheben und die Regierung stürzen.
     

     
    Sie waren nicht allein in dieser feuchten Wildnis. Es gab Einödhöfe, kleine Blockhütten auf Hügeln, alle paar Tage eine. Wenige Morgen große abschüssige, steinige Äcker an den dunklen Unterhängen der Anhöhen und ein Stück darüber hinaus, so weit die Kräfte reichten. Obstgärten, Wurzelgemüse, in den Pferchen erdfarbene Schafe. Die Bergbauern und Heimstätter kamen heraus und schauten zu, wenn über viele Stunden hinweg der

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