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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Gruppen von Dirimisten wanderten ab – ältere, hauptsächlich, der ersten Generation, die sich an die Korrekturfabriken erinnerten. Nicht in großer Zahl, aber doch so viele, dass es sich bemerkbar machte. Sie gingen los, um Holz zu sammeln oder sich nach Essbarem umzuschauen, und kamen nicht wieder. Ihre Weggefährten schüttelten den Kopf, verächtlich oder sorgenvoll. Nicht jeder war furchtlos oder im Stande oder willens, seine Angst zu ignorieren.
     

     
    Ich treffe eine Entscheidung, wenn ich die alten Schienen sehe, nahm Cutter sich vor. Aber dann war er mit den Gleisbauern unterwegs und half, den eisernen Pfad in Windungen durch Einschnitte zwischen Basalt- und Sedimentpfeilern hindurchzuführen und in dem V, das die Planierer in weichen Untergrund gegraben hatten, und da, da, feucht schimmernd, schwarz und doch glänzend, waren die Schienen. Mehr als zwanzig Jahre alt. In weitem Bogen, perspektivisch zusammenlaufend, durch die Geographie gefädelt. Ihr altes Lehr-, nein, das Gesellenstück. Die Schwellen mangels Beaufsichtigung verworfen, aber sie hielten die Schienen auf der Bettung.
    Der Jubel klang dünn in der kalten, diesigen Luft, aber er hielt lange an. Die Schienenleger schwenkten ihr Werkzeug. Die Remade gestikulierten mit ihren missgestaltigen Extremitäten. Die Straße nach New Crobuzon. Die alte Straße. Dem Verfall überlassen, als der versiegende Geldhahn und die sich leerenden Warenlager dem TRT-Boom ein Ende gemacht hatten. Cutter konnte erkennen, wo die Flanken des Einschnitts abgerutscht waren und das Eisen unter sich begraben hatten. Die Bahnstrecke war ein bequemer Weg für die Tiere der Wildnis.
    An einigen Stellen hatten Plünderer Schienen gestohlen; die Dirimisten würden die Lücken aus dem eigenen Vorrat füllen müssen. Auf diesem Weg war der Eiserne Rat gefahren, ungeboren, als er einfach nur ein Zug war. Der feuchte Steinschlag, das schwarze, glänzende Metall. Cutter konnte den Blick nicht losreißen. Und was nun? Wie sah es aus in seiner Stadt? Wo das Kollektiv ums Überleben kämpfte? Sollte er weggehen oder bleiben?
    Judah, du Bastard, wo steckst du?
    Die Motteks legten die Schienen hin und gaben ihnen mit behutsam abgemessenen Hammerschlägen eine leichte Krümmung, richteten den Strang aus, sodass er von Westen kommend in sanfter Biegung zwischen den Flanken des Bergeinschnitts aufwärts führte und endlich auf die Bettung der alten Strecke.
     

     
    Das hier ist alles ein Nachspiel, dachte Cutter. Das hier passiert alles im Anschluss an die Geschichte.
    Das Kollektiv ging unter oder war untergegangen, und in der Stadt herrschten Anarchie und Gewalt. Wir bringen die Wende. Zum Besseren, dachte Cutter mit trauriger Ironie, im Tenor eines Dirimisten.
    Das Kollektiv – der größte Moment in der Geschichte von New Crobuzon. Zu Fall gebracht in einem Krieg und vom Ende eines Krieges, zu dem, die Götter helfen mir, ich beigetragen habe, wir beigetragen haben. Aber was blieb uns übrig? Sollten wir die Stadt den Teshi ausliefern? Das Kollektiv hätte sich in keinem Fall halten können, sagte er sich, doch ganz überzeugt war er nicht. Er kratzte Figuren in den Boden, die Umrisse von Zügen, Männer und Frauen, die vor etwas davonliefen oder auf etwas zu. Vielleicht ist das Kollektiv nur in den Untergrund gegangen? Alk in der Stadt warten. Vielleicht sollte ich hier bleiben. Er wusste, er würde nicht.
     

     
    Aus Angst vor der Miliz und vor Banditen stellte man um die weitläufige Zugstadt jetzt Wachen auf, aber die meisten Banditen, die kamen, fReemade und andere, hatten den Wunsch, sich dem Rat anzuschließen. Täglich erschienen welche, fragten, ob sie erst auf die Probe gestellt würden, einen Beweis ihrer Brauchbarkeit abliefern müssten. Die Dirimisten hießen sie willkommen, auch wenn einige zu bedenken gaben, es könnten Spione darunter sein. Im Chaos dieser letzten Tage war kein Raum mehr für übergroße Vorsicht. Überall begegnete Cutter Neuankömmlingen mit ihrem zaghaften Enthusiasmus. Einmal zuckte er zusammen, weil er glaubte, einen Mann gesehen zu haben, dessen Oberkörper man rückwärts auf den Rumpf eines Pferdes gesetzt hatte.
    Eines Abends, auf dem Rückweg durch die schleichende Kühle, durch einen aufgeschreckten Schwarm Felstauben, vernahm Cutter eine Stimme. Tief in seinem Ohr.
    »Komm herauf zu mir. Ich muss dir etwas sagen. Leise. Bitte. Leise und unauffällig.«
    »Drogon?« Kein Geräusch außer dem Geflatter der Tauben. »Drogon?« Das

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