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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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war, sondern eine Wiederauferstehung begrabener persönlicher Hoffnung. Briefe flogen durch die Fenster, adressiert an die vor vielen, vielen Jahren in der Weite des Landes Verschwundenen und nun vielleicht Heimgekehrten. Die meisten Empfänger waren verstorben oder irgendwann grußlos verschwunden: Die Briefe wurden laut vorgelesen und waren ein Gruß an alle.
    Mittlerweile war es Tag geworden – der Tag, an dem der Eiserne Rat das Ende der Strecke erreichen würde. Seine Geschwindigkeit verlangsamte sich, die Männer auf der Lok wollten jede Sekunde der Fahrt genießen.
    »Low, der Golem-Mann!«, rief eine Frau mit ihrer alten Stimme, als sie vorbeidampften. »Er treibt sich da vorn herum, bereitet alles vor für euch! Macht schneller!«
    Was? Cutter schaute zurück. In seinem Innern regte sich ein Verdacht. Was?
    »Habt keine Angst«, rief ein anderer. »Wir halten uns nur verborgen, wir vom Kollektiv, wir warten, wir stehen hinter der Miliz«, aber Cutter hielt nach der Frau Ausschau, die das von Judah gesagt hatte.
    Es ist nicht mehr weit. Gegen Mittag würden sie vermutlich eintreffen, bei der Endstation, dem Verschiebebahnhof, wo die Miliz aufmarschiert war und wartete. Nur noch wenige Meilen. »Ich habe einen Plan, hatte Judah gesagt. Götter. Götter. Er ist hier.«
     

     
    Am Himmel flogen die Wyrmen des Eisernen Rats in beiden Richtungen. Ihre Späher würden bald über der Stadt sein.
    Cutter saß zu Pferde, wiegte sich in dem leichten, ausgreifenden Galopp, wie er es in den Monaten als Mann der Wildnis gelernt hatte. Fast konnte er mit Ann-Hari gleichauf bleiben, die auf Rahul ritt, dem Remade.
    Rahuls Schritte trommelten: Er lief am Fuß des Kies- und Geröllhangs, das erhöhte Gleisbett, von Löwenzahn und Unkraut bewuchert, als Windschutz neben sich. Cutter ritt oben auf dem Hang, wo der widrige Wind ihm Sand in die Augen warf. Er achtete nicht darauf. Er ritt weiter, unter Wolken, die mit plötzlicher Eile vorwärts drängten und in der Nähe Regen säten. Er schaute auf die Strecke, er schaute voraus. Er ritt neben dem Geleis.
    »Komm doch mit mir, wenn du willst«, hatte er zu Ann-Hari gesagt. »Sieh selbst, ob ich Recht habe oder nicht. Du kannst immer zurückreiten. Aber wenn ich Recht habe, sage ich dir – ich sage dir, Judah hat etwas vor.«
    Erst schien Ann-Hari ihn ungeduldig abfertigen zu wollen, doch etwas in seiner Entschlossenheit und dem spürbaren Wirrwarr seiner Gefühle – war er aufgeregt, ängstlich, wütend? – hatte sie berührt und veranlasst, mit ihm zu reiten.
    Er hatte Judah im Stich gelassen, und er musste ihn sehen, auch wenn ihm nicht klar war, was er eigentlich tun wollte – Judah überreden, dass er den Eisernen Rat zur Umkehr bewegte, erklären, wie es gewesen war, Absolution heischen für sein Versagen? Als die Wächter ihm kein Pferd geben wollten, verlangte er, dass Ann-Hari gerufen wurde. »Ihr müsst mich gehen lassen«, sagte er. »Gebt mir einen von den verdammten Gäulen. Judah ist da vorn. Ich muss zu ihm.«
    Sie hatte eine abweisende Miene aufgesetzt, aber er sah, dass sie aufmerksam geworden war. Sie sagte, sie wolle mitkommen. »Egal. Beleite mich, wenn du mir nicht traust, ist mir egal. Aber uns bleiben nur noch ein paar Stunden, und ich muss mit ihm sprechen.«
    Was hat er vor?
    Dann. Das Umland von New Crobuzon. Wo unter dem Straßendamm Flüsse sich kreuzten und die Steinplatten der Abdeckung zerfressen waren von saurem Regen. Bergausläufer streckten die Beine aus und wellten das Land mit struppigem Gras; wo das pechige Dickicht des Rudewood wie ein schwarzer und schwarzgrüner Ausschlag dem Pfad des Zuges entgegenwuchs und stellenweise sogar magere Waldfinger nach dem Rand der Gleise reckte. Cutter, Rahul und Ann-Hari jagten zwischen vereinzelt stehenden Bäumen hindurch und durch den Schatten von Bäumen.
    Der Ewige Zug war bald nicht mehr zu sehen, das Geleis, erst kürzlich ausgebessert, beschrieb Schlangenlinien. Cutter ritt, als wäre er allein neben dem Schienendamm, der sich aufwölbte wie ein Narbenwulst, wie ein Webfehler im Tuch des Landes. Auch hier waren Flüchtlinge an der Strecke und winkten aufmunternd, die meisten aber waren weitergelaufen, um bei dem Zug zu sein. Er ignorierte die Zurufe: Wo ist der Rat? Kommt er, um uns zu retten? Sie warten da vorn, Junge, pass auf dich auf. Er hielt den Blick auf das Gleis gerichtet. Der Zug war nicht mehr als eine Stunde hinter ihm.
    Ihm war, als ob New Crobuzon ihn einsaugte. Die Schwerkraft

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