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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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frischte der Wind auf, stieß böig gegen ihre Gesichter. Cutter und Ann-Hari drehten den Kopf in Erwartung der Scheinwerfer, die sich als Erstes aus dem Unbestimmten schälten, ihr vom hellen Tag ausgewaschenes Licht voraus über Stein und Schienenstrang eilen ließen, und der Eiserne Rat fuhr in den letzten Abschnitt der Kluft.
    Nein. Cutter wusste nicht, ob er es laut gesagt hatte. Er glaubte nicht daran, dass hinter der Miliz verbündete Aufrührer warteten. Er schaute zu und brüllte, laut oder in seinem Kopf, als der Eiserne Rat aus der Kerbe im Fels zum Vorschein kam und mit glühenden Kesseln der Vernichtung entgegendonnerte. Nein.
    Der zähnefletschende Schienenräumer, die Lok ein Funken schnaubender Fetisch, rollende Chronik ruhmreicher Taten, behängt mit Jagdtrophäen, besetzt mit den furchtlosesten Recken, den gewaltigsten Remade, Kaktuskriegern, die den Skramasax gezückt hielten, brüllend, gefeiert von New Crobuzoner Flüchtlingen, die nebenher liefen, jubelten, jauchzten, Konfetti warfen. Die zweite Lokomotive, sämtliche nachfolgenden Waggons, die gesamte Wagendachstadt ein grimmiger Heerbann, der Eiserne Rat war zu einer waffenstarrenden Festung geworden. Die Räder dröhnten auf den Schienen, der Qualm aus den Schloten, schwarz, weiß, grau, ballte sich zu Wetterköpfen. Alle waren zum Kampf bereit, kein Plan, keine Taktik, keine Strategie, nur der primitive Impuls Vorwärts!
    Ah ah, ah ah. Cutter hörte es, die Räder, das Rattern. Er lief zum Rand der Kluft und schrie, obwohl man ihn nicht hören konnte. Er sah, dass Judah die Tränen über die Wangen liefen, über das entrückte Lächeln auf seinem Gesicht, dass auch Ann-Hari lächelte, doch ihre Augen waren trocken. Der Zug, schneller als jemals zuvor, brauste an Rahul vorbei, der mit Menschen- und Echsenhänden winkte.
    Cutter stolperte, hörte hinter sich Judah den Zweischlag-Rhythmus wiederholen, den charakteristischen Takt des Zuges. Er sang mit dem Zug, und er wirkte seltsam erwartungsvoll. Cutter beugte sich vor, schaute von oben hinunter auf den Zug und die Dirimisten, die sich wappneten, um zu kämpfen, für die Stadt, die nun wieder die ihre war. Weiter vorn entdeckte er ein seltsames Muster von Erhebungen zwischen den Schwellen, nicht groß genug, um die Lokomotive zum Entgleisen zu bringen oder zu beschädigen, aber eine präzise Anordnung von Unterbrechungen, die von oben aussahen wie die Punkte eines über etliche Meter Strecke verteilten Piktogramms.
    »Ah ah, ah ah«, skandierte Judah, und von unten tönte synchron ah ah, und der vordere Teil des Eisernen Rats überfuhr einen Mechanismus, den Cutter gesehen und für das Relikt eines Signals oder eine unfertig gebliebene Streckeneinrichtung gehalten hatte. Als die Räder ihn berührten, tat es einen Schlag, setzte er sich ratternd in Bewegung, und Judah fiel stöhnend auf die Knie. Seine Haut schien zu schrumpfen, das Fleisch ihm von den Knochen zu schmelzen. Cutter sah die Gewalt der Kathexis, das jähe Abziehen von Energie.
    Er hörte die Synkopierung des Zuges, und hineingemischt etwas Neues, einen planvollen Zwischentakt, Stakkato in Gegenphase. Der Eiserne Rat hatte den von Judah präparierten Schalter umgelegt und den vorbereiteten Kreislauf in Gang gesetzt, saugte ihm die Kraft aus, und nur Cutter konnte es sehen. Er beobachtete, wie Judah krampfhaft zwinkerte und nach Atem rang.
    Die kleine Blockade zwischen den Schienen, die Cutter und Ann-Hari, von Judahs Rufen abgelenkt, vorhin nicht bemerkt hatten, in den Schotter gekeilt, auf die Schwellen gestützt – eine Apparatur aus Stiften, aus Metallstäben und Klötzen –, wurde von dem Eisernen Rat umgestoßen. Jedes einzelne Teil schlug mit Wucht auf die Kontakte, die Judah ausgelegt hatte, und die ausgeklügelte Anordnung sowie die jeweiligen Materialien bewirkten, dass jedes mit einem charakteristischen Geräusch auftraf. Zusammengenommen ergaben sie einen exakt gestaffelten Mehrklang aus Klacken, Knacken und Metall auf Metall, der sich in den gleichmäßigen Rhythmus des Zuges einfügte und für Sekunden, für einen Sekundenbruchteil entstand Pulsmagie, ein Palimpsest-Takt. Komplexität, jeder akzentuierte Klang fuhr wie ein Meißel in die Zeit, kerbte, spaltete die Zeit, sodass, als das mächtige Totemhaupt des Eisernen Rats aus den Gesteinsfalten und Synklinalen ins Freie strebte, die Augenblicke selbst von den Tönen zerhackt, behauen wurden, eine Intervention durch den Mechanismus, den Judah Low, großer

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