Der Eiserne Rat
agierte. Einige Monate nach dem Krieg der Konstrukte brachen die Rezessionsrevolten los, und nur wenige Milizzer waren zu der alten Praxis zurückgekehrt, sich mit Zivilkleidung zu tarnen.
Ori wusste nicht zu sagen, ob die neue Gerierung besser oder schlechter war. Auch unter den Revolutionären war man geteilter Meinung: Einige argumentierten, die Offenheit sei ein Zeichen der Stärke der Miliz, die anderen meinten, von Schwäche.
Das Stück Papier, das Spiral Jacobs Ori gezeigt hatte, war eine Heliotypie gewesen, vor langer Zeit aufgenommen: Zwei Männer standen auf den Dächern bei der Perdido Street Station. Ein schlechter Abzug, verblichen, abgegriffen, zu lange belichtet, und infolgedessen waren die Objekte im Sucher umgeben von dem Strahlenkranz einer Bewegungsunschärfe. Aber erkennbar. Spiral Jacobs, mit weißem Bart, sah schon damals alt aus und hatte dasselbe irre Grinsen aufgesetzt. Neben ihm ein Mann, das Gesicht halb abgewendet und verschwommen, der die Arme in Richtung der Kamera hob, die Finger der linken Hand ausgestreckt. Der rechte Arm, im Begriff vorzuschnellen, war die brutale, riesenhafte Fangzange einer Gottesanbeterin.
Früh am nächsten Morgen, als die Übernachtungsgäste hinausgeschickt wurden, wartete Ori vor der Tür des Asyls.
»Spiral«, sagte er, als der Alte herauskam, sich kratzte und die Decke um die Schultern zog. Der Angesprochene blinzelte ins Tageslicht.
»Läufer! Du bist der Läufer!«
Ori musste einen Tageslohn opfern. Er bezahlte eine Droschke, um mit dem alten Mann nach Flyside zu fahren, wo er damit rechnen konnte, von niemandem erkannt zu werden. Spiral brabbelte vor sich hin. Ori spendierte Frühstück in einem Café an einer Plaza im Schatten des Flyside Milizturms und der Himmelsgleise Hunderte Meter über ihren Köpfen, die ihn mit dem Spike im Zentrum der Stadt verbanden. Spiral Jacobs aß und schwieg. Lange.
»Zu viel Gejammer und nicht genug Hammer, Spiral, ist es nicht so? Zu viel hiervon …« Ori streckte die Zunge heraus. »… und nicht genug davon.« Er ballte die Faust.
»Besser Hammer als Gejammer«, bestätigte der Penner gutmütig und verspeiste eine gebackene Tomate.
»Das war Jacks Motto?«
Spiral Jacobs hörte auf zu kauen und musterte ihn schlau.
»Jack? Ich geb dir Jack«, sagte er. »Was willst du über Jack wissen?« Der Akzent, der vage ausländische Zungenschlag, blitzte sekundenlang deutlicher auf.
»Jacks Methode, das war der Hammer, nicht Gejammer, habe ich Recht? Manchmal will man, dass jemand mit dem Hammer dreinschlägt, dass jemand etwas tut, stimmt’s?«
»Ein wackerer Streiter gegen das Unrecht war unser Jack«, sagte der alte Mann. Er lächelte todtraurig, jede Spur von Irrsinn war für den Moment verflogen. »Er war unser Bester. Ich liebe ihn und seine Kinder.«
Seine Kinder?
»Seine Kinder?«
»Die, die nach ihm kamen. Lebet hoch, sag ich.«
»Ja.«
»Hoch soll er leben, Toro.«
»Toro?«
In Spiral Jacobs Augen sah Ori eine echte Verwirrung des Geistes, ein Meer aus Einsamkeit, Kälte, Schnaps und Drogen. Dazwischen aber dümpelten noch Gedanken, tückisch wie Barrakudas, ihr Flossenschlag spiegelte sich in den Zuckungen im Gesicht des Alten. Er horcht mich aus, dachte Ori. Er stellt mich auf die Probe.
»Wäre ich ein paar Jahre älter gewesen, wäre ich Jacks Mann gewesen«, sagte er. »Er ist der Boss, er war es immer. Ich wäre ihm gefolgt. Ich war dabei, als er starb.«
»Jack ist nicht gestorben, Sohn.«
»Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen.«
»Ja, so wie du meinst, ist er vielleicht gestorben. Aber, weißt du, solche wie Jack, die sterben nie.«
»Und wo ist er dann jetzt?«
»Ich denke, er schaut von oben runter auf euch Läufer und lächelt. Aber da sind andere, Freunde von uns, Kumpel von mir, und er denkt: ›Hoch sollt ihr leben, Jungs!‹« Der alte Mann lachte gackernd.
»Freunde von dir?«
»Jau, Freunde von mir. Mit großen Plänen. Ich weiß alles darüber. Einmal Jacks Freund, immer Jacks Freund und all derer seines Sinnes.«
»Wer sind deine Freunde?«, forschte Ori, aber Jacobs schwieg beharrlich. Der alte Mann vertilgte den letzten Bissen, wischte mit den Fingern das ausgelaufene Eigelb zusammen und leckte sie ab. Er schien Oris Anwesenheit vergessen zu haben oder nahm bewusst keine Notiz von ihm. Behaglich zurückgelehnt ruhte er aus, dann, ohne einen Blick auf sein Gegenüber, schlurfte er in den grauen Tag hinaus.
Ori heftete sich an seine Fersen, dabei gab
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