Der Eiserne Rat
Amtsgebäude der Regierung.
Toros Taten waren sämtlich bekannt, und die Journalisten zitierten sie mit Lust. Der Tresorraum einer Bank war geknackt worden und mit Parolen beschmiert, mehrere Tausend Guineen waren den Räubern in die Hände gefallen, einige hundert davon hatten sie an Kinder in Badside verteilt. Im Relevant las Ori:
Durch großes Glück hat dieser Fall, DER RAUB DER BADSIDE-MILLIONEN, keinen blutigen Ausgang genommen wie DER FALL DES ROLLENDEN SEKRETÄRS oder DER FALL DER ERTRÄNKTEN ERBTANTE.
Diese früheren Verbrechen sollten daran erinnern, dass der Bandit, der unter dem Namen Toro sein Unwesen treibt, ein Feigling ist und ein Mörder, und dass er einzig wegen seiner Chuzpe eine gewisse Sympathie in der Bevölkerung genießt.
Botschaften erreichten Ori durch New Crobuzons verschlungene und geheime Kanäle. An drei Tagen hatte er an der von Spiral Jacobs bezeichneten Ecke gewartet, in Lichford, unter den Wegweisern nach Crawfoot und Tooth Way, vor dem alten Wachsfigurenkabinett. Er lehnte an dem sonnenwarmen Verputz und wartete, derweil Straßenkinder versuchten, ihm Nüsse zu verkaufen und Zündhölzer in Stanitzeln aus zusammengedrehtem Papier.
Jedes vergebliche Warten bedeutete verlorenen Arbeitslohn und sinkendes Ansehen bei den Werbern in Gross Coil. Er musste etliche Tage Abstand dazwischen lassen, wenn er nicht hungern wollte oder Gefahr laufen, dass seine Zimmerwirtin die Geduld verlor. Er ging wieder zu den Versammlungen der Ortsgruppe des Lauffeuers, um dazusitzen, ein Jack unter anderen Jacks, und über die Niederträchtigkeit der Stadt zu räsonieren. Curdin freute sich, ihn zu sehen. Ori zeigte sich jetzt erheblich gemäßigter in seiner Kritik. Sein kleines Geheimnis bereitete ihm Vergnügen. Ich gehöre nicht mehr wirklich zu euch, dachte er und fühlte sich wie einer von Toros Ausbaldowerern.
Dann sprach an seiner Straßenecke ein Mädchen ihn an, nicht älter als zehn Jahre. Ihr Lächeln mit der kindlichen Zahnlücke eroberte sein Herz. Sie reichte ihm eine Tüte mit Nüssen, und als er den Kopf schüttelte, sagte sie: »Der Herr hat schon bezahlt. Ich soll dir das geben.«
Auseinander gerollt, war trotz der Fettflecke von den gerösteten Nüssen die innen aufgeschriebene Botschaft lesbar: Hab dich warten gesehen. Bring Essen und Silber von eines reichen Mannes Tafel. Darunter ein kleiner Kreis mit Hörnern, Toros Paraphe.
Es war einfacher als gedacht. Er entschied sich für ein Haus in East Gidd, vor dem er Beobachtungsposten bezog. Schließlich bezahlte er einen Jungen, vorne die Fenster einzuwerfen, während er sich ins Gebüsch schlug, das Gartentor aufbrach, Messer, Gabeln und Brathuhn vom Tisch raffte. Hunde kamen angestürmt, aber Ori war jung und schon öfter der Schnellere gewesen, wenn Straßenköter ihm ans Leder wollten.
Essen würde niemand den fettigen Matsch, der über Nacht in Oris Rucksack marinierte. Dies war eine Tauglichkeitsprüfung. Am nächsten Tag, am gewohnten Platz, stellte er den Sack neben sich, und als er ging, nahm er ihn nicht mit. Sein Herz klopfte laut.
Mmm, gut, hieß es in der nächsten Nachricht, wieder in Form der fettigen Verpackung eines Imbisses aus der Schnellküche. Jetzt brauchen wir Geld, mein Freund, 40 Nobel.
Ori erfüllte den Auftrag. Er tat, was man verlangte. Er war kein Dieb, aber er kannte Diebe. Sie halfen ihm, beziehungsweise brachten ihm bei, wie er zu Werke gehen musste. Anfangs hatte er keinen Spaß an den anarchischen Abenteuern: nachts durch dunkle Straßen rennen, schlenkernde Taschen in den Händen, hinter sich die spitzen Schreie teuer gekleideter Damen.
Er fand es unter seiner Würde, als gewöhnlicher Säckelschneider die verlangte Summe zusammenzubringen, doch war ihm klar: Jede raffiniertere Unternehmung würde ihm die Greifer der Miliz auf den Hals ziehen. Wenn er momentan im Finstern sein Heil in der Flucht suchte, kamen die Straßenbanden wie verabredet in seinem Sog aus den Löchern, und die Beamten wagten sich Schlagstock schwingend nur ein Stück in die Höhle des Löwen.
Die ersten beiden Male konnte er kaum sein Zittern unterdrücken. Er fühlte sich wie aufgeputscht, konnte selbst kaum glauben, was er tat, dass er es tat, etwas Wirkliches. Beim dritten Mal und die Male danach hatte er keine Angst mehr.
Er nahm keinen Heller von dem gestohlenen Geld. Er lieferte alles seinem unsichtbar bleibenden Brieffreund ab, in mehreren Raten. Er zählte nicht mit. Die Überfälle wurden
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