Der Eiserne Rat
den Rücken kehrte. »Das hier kommt aus eurer Gegend. Aus New Crobuzon. Dies ist ein Milizsäbel.«
Milizkugeln hatten sie niedergemäht, ein Milizzer, Mann oder Frau, hatte das Kind aufgespießt. Milizmesser zerfetzten die Wagenplane, New Crobuzoner Hände hatten ihre Besitztümer auf die Erde geworfen.
»Ich hab’s dir gesagt.« Judah sprach sehr leise.
Können wir nicht woanders hingehen?, dachte Cutter elend. Ich mag hier nicht reden, vor den Toten. Er hob den Blick, hastig atmend, sah, wie Pomeroy und Elsie sich gegenseitig stützten.
»In meinem Brief, Cutter. Erinnerst du dich?« Judah hielt seinen Blick fest. »Ich habe dir erklärt, dass ich gehen muss, damit so etwas nicht passiert.«
»Wir befinden uns im Grenzgebiet zu Tesh«, entgegnete Cutter. »Die Sache hier muss nicht bedeuten, dass die Miliz unterwegs ist, um den Eisernen Rat zu zerschlagen.«
»Sie haben eine Basis an der Küste, von dort schicken sie ihre Trupps landeinwärts. Das hier … Das ist nur ein Teil ihres Auftrags. Sie marschieren nach Norden. Sie sind auf der Suche nach dem Rat.«
Hinter der Schlucht mit den Toten war das Land weit und wellig. Man musste damit rechnen, dass die Milizeinheit, die die Flüchtlinge abgeschlachtet hatte, sich noch ganz in der Nähe befand, deshalb waren sie auf der Hut. Wenn Cutter die Augen schloss, sah er die geduldigen Toten vor sich. Drogon führte sie auf einem Trampelpfad durch das Salbeigestrüpp. Auf den Hügeln in der Ferne sahen sie ein verwischtes Schachbrettmuster nur halbherzig dem Unkraut entrissener Äcker und Felder. Von dort wehte auch der Rauch heran.
Ein Tagesmarsch bis zum Ort der Verwüstung. Brandgeruch hing zum Schneiden dick in der Luft. Die Waffen schussbereit, setzten sie den Fuß auf den ersten kleinen Acker.
Zwischen den Graten der umgebrochenen Schollen zu den Ruinen eines Olivenhains. Sie stiegen über das in die Luft krallende Wurzelwerk der umgerissenen gedrungenen Bäume hinweg. Überall lagen hutzlig gewordene Oliven verstreut wie Dungköttel. Krater hatten sich gebildet, wo Stümpfe zu Holzkohle verglüht waren. Leichen waren im Feuer zu Skeletten verschmort.
Die Wohnstätten der Getöteten waren niedergebrannt. Auf einer mit Buschwerk bewachsenen, von mehr oder weniger ausgetrockneten Bachläufen durchzogenen Ebene, stießen sie auf schwarze Buckel, die rauchten wie Schlackehügel, umwabert von einem ranzigen, süßlichen Gestank nach verwestem Fleisch. Cutter hackte sich einen Weg durch welkes Heckendickicht.
Erst begriff er nicht, was er vor sich sah. Die Hügel bestanden aus aufgeschichteten Kadavern paarhufiger Rüsseltiere, bewehrt mit Hauern, groß und schwer wie Büffel. Sie waren umhüllt von einer Kruste aus Asche und versengtem Laub. Wurzeln durchzogen aderngleich ihr Fleisch.
»Rebenschweine«, sagte Judah. »Wir sind in Galaggi. So weit haben wir es geschafft.« Der Wind frischte auf, Staub und Rauch und Asche von verbrannten Oliven, Reben und Rebenlaub brannten ihnen in den Augen. Die toten Tiere raschelten.
Pomeroy entdeckte einen Graben, worin ein Dutzend Männer und Frauen verwesten. Die seit Tagen fortschreitende Zersetzung hatte noch nicht vermocht, ihre schraffierten Tätowierungen unkenntlich zu machen. Die bimssteinfarbene Haut, vom Tod besudelt, war zum Schmuck mit Steinpfriemen durchbohrt.
Sie waren die Weinhirten. Die Clans, die Sippen, Nomaden dieser heißen nördlichen Steppe, Hüter der Rebenschweinrotten. Sie folgten ihnen, beschützten sie, und zur Erntezeit sprangen sie mit artistischer Behändigkeit zwischen die Hauer der reizbaren Pflanzenfresser, zur Lese der Früchte, die an ihren Flanken reiften.
Cutter schluckte. Sie schluckten alle, starrten auf die von Gewehrsalven durchsiebten Toten. Judah sagte: »Das könnte Haus Predicus sein. Das Haus Cherium. Oder Gneura.« Die Rebenschweine, die Hirten und ihre Ernte, verdorben und zuschanden.
Den ganzen Tag wanderten sie auf und ab durch verwüstetes Land, durch Olivenhaine, dem Erdboden gleichgemacht, und vorbei an abgeschlachteten Viehherden und vielen, vielen verkohlten Leichen. Ein Gehege der großen Fleischvögel – für die Würmer. Das leise Knistern glosenden Gebälks und das Pochen toten Holzes begleitete sie. Einigen Toten war noch anzusehen, wie sie gestorben waren. Eine Frau mit hoch geschobenem, blutsteifem Rock. Ein bulliger Hirte, der Bauch von Fliegen wimmelnd, mit ausgestochenen Augen. Der Fäulnisbrodem schnürte Cutter die Kehle zu.
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