Der Eiserne Rat
sondern beißt euch durch sagte er als wir kämpften und nach dem Fleck sagte er wir sollen nicht trauern sondern feiern aber Schwester aber ich kann nicht anders wir weinen um ihn und auch du kannst weinen Schwester, weine um ihn und ich weine mit dir ich bin es Rahul und ich sage Lebewohl …«
Die Nadel schnarrte zum Stillstand. Judahs Gesicht war tränennass. Cutter konnte den Anblick nicht ertragen. Er streckte die Hand aus, zögerte, als er merkte, dass seine Berührung nicht willkommen wäre. Judah weinte lautlos. Der Wind umschnüffelte sie beide wie ein Hund. Der Mond war blass. Es war kalt. Cutter schaute zu, wie Judah weinte, und es zerriss ihm das Herz. So gern hätte er den grauhaarigen Mann in die Arme geschlossen, doch konnte er nichts anderes tun als warten.
Nachdem Judah sich gefasst und die Tränen abgewischt hatte, schaute er lächelnd Cutter an, der den Blick abwenden musste.
Er brauchte Mut, um zu fragen: »Du hast ihn gekannt, von dem die Rede war. Ich verstehe. Für wen war diese Nachricht bestimmt? Von wessen Schwester war da die Rede?«
»Sie war für mich«, antwortete Judah. »Die Schwester bin ich. Ich bin seine Schwester, und er ist meine.«
Die flachen Hügel trugen Mäntel aus Blumen in königlichen Farben. Cutters Schweiß vermengte sich mit Blütenstaub, die Luft, die er einatmete, war mit Pollen geschwängert. Die Wanderer stapften durch eine seltsame Landschaft, beschwert von Dreck und der Sonne, als hätte man sie in Teer getunkt.
Sie schmeckten Rauch. Irgendwo oberhalb der Klippen vor ihnen färbte etwas anderes als Sommer den Himmel. Streifen dunkelgrauen Rauchs wurden in die Höhe gesogen und lösten sich auf. Wie ein Regenbogen schienen sie weiter zurückzuweichen, je näher man ihnen kam, doch am nächsten Tag war der Rauchgeruch viel deutlicher.
Sie stießen auf begangene Wege. Sie betraten bewohnte Gegenden und näherten sich den Bränden. »Seht dort!«, sagte der Wisperschmied zu jedem einzeln. Meilen voraus, in offenem, grasbewachsenem Gelände, bewegte sich etwas. Durch Drogons Teleskop sah Cutter, es waren Einheimische auf der Flucht. Hundert vielleicht. Zogen und schoben beladene Karren, trieben ihr Vieh so schnell es laufen konnte: feiste kuhgroße Vögel, fleischig und vierfüßig, die knochigen, federlosen Flügel dienten als kümmerliche Vorderbeine.
Die Karawane machte einen armseligen und gehetzten Eindruck. »Was hat das zu bedeuten?«, meinte Cutter.
Gegen Mittag kamen sie an einen Ort, wo die Erde aufgebrochen war, und wanderten durch Klüfte, deren Wände höher ragten als ein Haus. Vor sich sahen sie etwas Bräunliches, Ramponiertes, zusammengebunden wie ein übergroßes Packpapierpaket mit Schnur. Es war ein Planwagen. Die Räder waren zersplittert, er lehnte an der Felswand, halb in Trümmern und verbrannt.
Darum verstreut lagen Männer und Frauen. Ihre Köpfe waren eingeschlagen oder die Brust von Kugeln aufgerissen und entleert, der Inhalt auf Kleider und Schuhe verspritzt. Sie saßen oder lagen hübsch ordentlich aufgereiht, wo sie gestorben waren, wie eine Truppe in Erwartung ihrer Befehle. Eine Kompanie der Toten. Ein Kind, von einem zerbrochenen Säbel durchbohrt, kauerte vor ihnen wie ein Maskottchen.
Es waren keine Soldaten. Bauern, nach ihrer Kleidung zu urteilen. Ihre Habseligkeiten lagen auf dem steinigen Boden verstreut – Eisenwaren, Töpfe, Kessel, alles von fremder Machart, Stoff zu Lumpen zerfetzt und in den Staub getreten.
Cutter und seine Gefährten betrachteten das Szenario wie zu Stein geworden, die Hand vor dem Mund. Drogon zog sich das Halstuch über die Nase und drang in den Verwesungsgestank vor, der über den Toten hing wie eine Glocke, in die Wolken von Fliegen, die sich an ihnen labten. Er nahm eine Radspeiche und stieß die Leichen an, sacht, fast respektvoll. Sie waren von der Sonne ausgedörrt, die Haut zu Leder vertrocknet und eingeschrumpft. Darunter stachen scharfgratig die Knochen hervor.
Der Wagen knarrte, als Drogon sich hineinbeugte. Er ging in die Hocke und begutachtete die Verletzungen, stocherte darin, unter den starren Blicken seiner Gefährten, die mit zugehaltenem Mund erstickte Laute ausstießen. Als der Wisperschmied behutsam die Hand um das Heft des Säbels legte, der aus dem Leib des toten Kindes ragte, wandte Cutter sich ab; er wollte nicht sehen, wie der Junge sich bewegte.
»Ist schon ein paar Tage her«, tönte Drogons Flüstern in seinem Ohr, obwohl er beharrlich der Untersuchung
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