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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Getöteten. Sie trugen noch ihre Masken, jeder einzelne von ihnen.
    Zwei lebten noch. Einen hatte der Trompetenton des Verstandes beraubt, er raste in einem okkulten Fieber. Dem zweiten hatte Pomeroys Kugel die Hände durchschlagen, und er schrie beim Anblick der fingerlosen blutigen Klumpen.
    Drogon hielt Leichenschau. Schon bald war damit zu rechnen, dass die Hauptmacht bei der Chelonia dieser kleinen Todesschwadron Melder hinterherschickte.
    Judah war erschöpft. Den Golem zu erschaffen – so gewaltig, so schnell – hatte Kraft gekostet. Er durchsuchte die tote Thaumaturgin, deren Patentgolem er so leichthin entzaubert hatte. Er nahm ihre Ausrüstung an sich: Batterien, Chymikalien, Kadabrasteine.
    Er vermied es, Cutter anzusehen. Er schämt sich, dachte Cutter. Wegen seiner kleinen Vorstellung. Judah, der den Hügel hinaufschritt wie ein Dämon, der den Toten befehlen konnte. Judah war ein Golemist von außergewöhnlicher Macht und Fertigkeit: Seit der Krieg der Konstrukte die Reichen gezwungen hatte, auf ihre dampfgetriebenen Dienstboten zu verzichten, hatten seine Talente ihm zu Wohlstand verholfen. Jedoch hatte Cutter nie erlebt, dass Judah sich mit seinem Können brüstete oder es zur Schau stellte, bis zu diesem düsteren Marsch hinter dem Leichenkoloss.
    Ihr hetzt einen Golem auf mich? Sein Zorn hatte einen Beiklang von Arroganz gehabt. Jetzt bemühte Judah Low sich, wieder in den Hintergrund zu treten.
    Die Flüchtlinge schauten zu. Da waren Bewohner der Cheloniastadt, Männer und Frauen verschiedener Hautfarbe in Kleidern von erstaunlicher Machart. Da waren Käfer von der Größe eines aufrecht stehenden Kindes. Sie beobachteten aus irisierenden Augen, ihre Fühler tasteten in Cutters Richtung. Ihre Toten waren geborsten und mit dem hervorquellenden Lebenssaft besudelt.
    Unter den Menschen trugen einige die in Naturfarben gehaltene Tracht von Jägern. Sie waren größer als die Chelonier und unterschieden sich von ihnen außerdem durch einen dunkelgrauen Teint.
    »Weinhirten«, sagte Cutter.
    »Zweimal Flüchtlinge«, fügte Elsie hinzu. »Wahrscheinlich vor der Miliz in die hürnene Stadt geflohen und nun schon wieder vertrieben.«
    Ein Weinhirte ergriff das Wort, und er und die Wanderer und die Einheimischen probierten die Sprachen aus, die sie beherrschten, und fanden nur wenige gemeinsame Worte. Staubfahnen bezeichneten die Wege durch das Strauchwerk, auf denen Vertriebene ihr Heil im nahen Wald suchten, während Drogon fledderte und Judah stumm dasaß. Die überlebenden Milizzer hinter ihnen gaben schluchzende Laute von sich.
    »Wir müssen aufbrechen«, mahnte Elsie.
    Sie taten sich mit den letzten Cheloniern zusammen, einigen der schweigsamen Insektenleute, zwei heimatlosen Weinhirten. Sie drangen in den Wald ein. Eine Zeit lang hörten sie noch das Lallen und Schreien des von der Cheloniatrompete in den Wahn gestürzten Milizsoldaten.
     

     
    Dieser Wald hatte keine Ähnlichkeit mit dem Rudewood. Diese Selvabäume waren zäher, drapiert mit Schlingpflanzen und dickfleischigen Blättern, behangen mit schwarzen, eigentümlichen Früchten. Aus dem Dickicht ertönten fremdartige Tierstimmen.
    Die vertriebenen Chelonier hatten Angst und schauten aus großen Augen auf Judah. Sie wussten nichts anderes, als sich an die Macht zu klammern, die sie zu ihrer Rettung hatten schreiten sehen. Sie marschierten, allerdings mit einer Unbeholfenheit, die Cutter und seine Gefährten überwunden hatten und die sie nun ärgerlich fanden.
    Sie wollten keine Zeit verlieren und ließen die Flüchtlinge hinter sich, einfach indem sie mit ihren sehnigen, in den vielen Tagen unterwegs stark und hart gewordenen Beinen weiter ausschritten. Cutter war sich im Klaren darüber, dass die Miliz sie verfolgen würde und dass den Letzten traditionell die Hunde bissen, doch er war zu müde, um sich mit einem schlechten Gewissen zu quälen.
    Ohne ein einziges Wort gesprochen zu haben, fanden die Insektenleute eigene Wege in die Tiefe des Waldes und waren fort. Als die laue Nacht hereinbrach, hatten nur die beiden Weinhirten Schritt halten können. Sie zeigten die Ausdauer von Jägern. Endlich, weit genug entfernt von den entkräfteten Cheloniern, die sie abgeschüttelt hatten, machten die Wanderer Halt. Sie bildeten eine merkwürdige Truppe, die Weinhirten und Cutters Freunde, taxierten sich gegenseitig, während sie kauten, registrierten jeder die Eigentümlichkeiten des anderen, kameradschaftlich und ohne zu reden.
     

     
    In

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