Der Eiserne Rat
jemand mit anerkannt skandalösem Lebenswandel, einer von den bunten Vögeln aus Salacus Fields, doch er war ein Kaufmann. Besitzer eines Ladens in Brock Marsh, dessen Kunden Gelehrte waren, Wissenschaftler. Brock Marsh war ein seltsamer, ruhiger Bezirk; die Belustigungen dort entsprachen nicht denen des unkonventionellen Südufers.
In Brock Marsh konnte man erleben, dass außer Kontrolle geratene Kadabras Türen entstehen ließen, wo keine hingehörten. Dass Wesenheiten, in thaumaturgisch angereichertem Plasma kultiviert, entwischten und die Straßen unsicher machten; gelehrte Dispute zu mörderischen Duellen ausarteten, wenn rivalisierende Denker sich mit depressiv geladenen AbIonen bombardierten. Brock Marsh hatte Geschichte und einen gewissen Glanz, doch es gab keine Orte, wo Cutter Männer treffen konnte. Entdeckte er bekannte Gesichter aus Brock Marsh in den Kneipen am Südufer, ignorierte er sie und sie ihn.
Cutter verabscheute die Puppenjungs mit ihren Petticoats und geschminkten Gesichtern, die ästhetischen, mit Blumen besteckten Uranisten der Nächte in Salacus Fields. Mit abweisender Miene ging er am Kanal in Sangwine entlang, vorbei an den effeminierten männlichen Huren, mit denen er nicht redete. Er ging nicht in Puffs, zahlte nicht für den Hintern eines Kerls. Nicht mehr. Und nur gelegentlich besuchte er die Spelunken am Hafen, wo die Seeleute, die nicht nur an Bord der Not gehorchten, sondern gleich auf gleich bevorzugten, sich an Männer verkauften.
Stattdessen kam es manchmal vor, dass er sich durch das Gedränge von Nachtschwärmern in Bars mit halb verborgenem Eingang schob, schmale Räume, schmale Tresen, dicke Rauchschwaden, ältere Männer, die aufmerksam jeden Neuankömmling beäugten. Männer in Gruppen lachten grölend, während andere allein dasaßen find nicht den Blick hoben, und die Frauen waren Männer, Tunten oder Remades, die einmal Männer gewesen waren und deren Übergangsstadium für manche einen besonderen Reiz ausmachte.
Cutter war vorsichtig. Diejenigen, die er ansprach, waren grundsätzlich nicht zu hübsch: Möglicherweise war der Beau ein Milizzer, als Lockvogel unterwegs, um jedem, der sich ihm näherte, eine Anzeige wegen Sittenverderbnis aufs Auge zu drücken, oder seine Einheit draußen gönnte sich das Vergnügen, gleich an Ort und Stelle die entsprechenden disziplinarischen Maßnahmen durchzuführen, bestehend aus Prügeln und einer Runde Bockspringen.
Weder verschämt noch unterwürfig ließ Cutter sich Zeit und wartete, verabscheute den Ort und empfand sich deswegen als provinziell, bis jemand wie er hereinkam.
Vor zwölf Jahren hatte Cutter Judah Low kennen gelernt. Da war er 24 gewesen, ein zorniger junger Mann. Judah war 15 Jahre älter. Sehr schnell hatte Cutter sein Herz an ihn verloren.
Ihre Beziehung fand kaum jemals körperlichen Ausdruck. Rar wie hohe Feiertage in jedem Jahr waren die Male, die Cutter mit Judah Low das Lager teilte, und jedes Mal auf Grund seines Drängens, fast schon, dass er darum bettelte. In den ersten Jahren häufiger, bis Judah schwerer und schwerer zu überreden war. Cutter schien es weniger ein Nachlassen des wie stark auch immer gewesenen Verlangens bei Judah zu sein, sondern etwas Überlegteres, das Cutter nicht in Worte fassen konnte. Jedes Mal, wenn sie zusammen waren, empfand Cutter es deutlich als Gefälligkeit von Judahs Seite. Er hasste es.
Er wusste, Judah trieb es auch mit Frauen und, nahm er an, auch mit anderen Männern. Doch nach allem, was er sich ausmalte oder hörte, geschah es nicht häufiger, mit nicht mehr oder weniger Enthusiasmus, als er bei ihren eigenen Begegnungen an den Tag legte. Ich werde dich dazu bringen, dass du schreist, dachte Cutter, wenn ihre schweißnassen Körper sich aneinander rieben. Er ging mit einer Leidenschaft zur Sache, die an Gewalttätigkeit grenzte. Du sollst mich spüren. Nicht aus Rachsucht, sondern es war das verzweifelte Bemühen, mehr zu erwecken als Freundlichkeit.
Judah hatte ihn viel gelehrt, Geld in seinen Laden investiert, Cutter zum ersten Mal zu Tagungen des Gremiums mitgenommen. Als Cutter begriff, dass ihre sexuellen Begegnungen immer nur ein Akt väterlicher Freundschaft sein würden, immer nur ein Geschenk von Judah, wollte er die Beziehung beenden, doch er konnte die Abstinenz nicht ertragen. Mit den Jahren verlor er etwas von dem aufbrausenden Trotz des jungen Mannes, doch es blieb ein schwelender Zorn, den er nicht ersticken wollte. Ein Teil davon
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