Der Eiserne Rat
Freizeit der Arbeiter.
- Ich bin da drin gewesen, sinniert Judah und schaut auf das Fenn. Er sagt zu sich selbst: – Ich sollte nach Hause fahren, aber, aber …
Es fällt ihm schwer zu sagen, weshalb er es nicht tut. Er kann sich nicht losreißen von der Großartigkeit dieses Eingriffs.
Er stattet dem Dorf der Stiltspear einen Besuch ab. Es vergeht in sich selbst, löst sich im Moor auf. Halb hat er den Wunsch, weiter ins Ried zu gehen und die Stiltspear zu besuchen, tief in ihrem schrumpfenden Zufluchtsgebiet. Doch er ist ein Mensch, und die Stiltspear töten nun Menschen. Ihm gelingt eine unzulängliche Aussöhnung mit sich selbst. Er fühlt sich leer.
Judah beobachtet den Fortschritt der Planierer. Wie eine Möwe, wie ein Aasfresser, folgt er dem langsamen, langsamen Vorrücken des Zugs. In diesem tückischen Gelände sind es manchmal am Tag nur ein paar Dutzend Meter. Der Herbst rückt näher.
Die Zeltstadt mit ihren Vergnügungsstätten am Rand des Fenns ist ein Angelpunkt von Handel, Wandel und allerlei einfachem Gewerbe. Sie ist voll von Ausreißern, Arbeitern ohne Arbeit, Prospektoren, den mit Pistolen bewaffneten ruhelosen Reitern, die in wachsender Zahl die zugänglich gemachte Prärie bevölkern. Kaktusleute, Vodyanoi, llorgiss, Khepri und fast unbekannte Rassen: Krustazeen, aufrecht gehend auf zwei Beinen und verhüllt wie Mönche, Gestalten mit zu vielen Augen. Ruhm suchende Söldner, Kanaille gemischt aus einem Dutzend verschiedener Kulturen.
- Wie kann ich einfach nach Hause gehen?, sagt Judah beim Würfelspiel zu einem, – wenn doch dieses Ungetüm, dieser Zug hier ist? Wie kann ich das tun?
Er ist ein Vagabund, der die Dampf- und Kolbenstadt auf Schienen durchwandert. Da sind Tausende Männer und Frauen, viele ohne Arbeit. Eine erbarmungswürdige Reservistenarmee schlurft hinter dem Ewigen Zug her. Sie betteln, wenn die Gendarmen nicht hinschauen.
Judah knetet Golems aus dem niedergetretenen Morast am Streckenkopf. Er kann nicht nach Hause gehen.
Die Siedlungen, an denen sie vorbeikommen, werden reich und gewalttätig – dekadent, saufselig, verhurt und gesetzlos – für die paar Tage oder Wochen der Eisenbahn und sterben dann. Das Dasein von Eintagsfliegen.
Sex ist ebenso Teil des Streckenbaus wie das Legen der Gleise, Planieren, Viehhüten, Buchführung. Eine Zeltstadt, bewohnt von Prostituierten, die den Rotlichtbezirken New Crobuzons den Rücken gekehrt haben, folgt den Schienen und den Männern, die sie legen. Die Männer nennen sie Fucktown.
Die Eisenbahn kommt und verändert alles. Jahrhunderte lang haben in den Ausläufern der Wälder individuelle Gruppen gehaust. Fehden zwischen Kleinbauern und Jägern, Einsiedlern und Fallenstellern; Handelsbeziehungen und Verträge zwischen Eingeborenen und Siedlern, die sich als Angehörige verbotener Sekten vor New Crobuzons Häschern versteckten. Die entlaufenen Remade der Stadt haben in dem weiten Land Zuflucht gefunden und sind fReemade geworden. Jetzt dringt die Eisenbahn wie ein Messer in diese Enklave und schneidet sie auf, und New Crobuzon hört ihre Gerüchte.
Eine Völkerwanderung von Prospektoren aus der Megalopole strebt von den Gleisen zu den Punkten, von denen es heißt, dass man dort Steinmilch finden kann oder Edelsteine oder die magisch wirkenden Knochen urzeitlicher Monstrositäten. Kriminelle haben neue Orte, wohin sie flüchten können, und Kopfgeldjäger haben neue Wege, sie aufzuspüren. Alle diese Neuankömmlinge strömen herbei, die Forscher und der Bodensatz aus der Stadt, die Neugierigen aller Himmelsrichtungen. Wie Zuflüsse eines Stroms, wie die Fadenwurzeln eines Efeus gehen ihre Wege von dem eisernen Pfad aus und kehren zurück. Judahs ist einer davon.
In einer Art Betäubung wandert Judah meilenweit am Schienenstrang entlang. Jede Nacht träumt er von den Stiltspear. Er hört das Stakkato ihrer Sprache, das chronopausale Atmen. In seinem Traum treten sie blutend an ihn heran, ihrer Hände beraubt.
Judah ist tagelang unterwegs, überquert eine Gerüstbrücke, auf der Arbeiter wimmeln und Remade sich mit langen Affenarmen durch das Balkengewirr schwingen. Am Ende einer Nebenlinie, einer Gleisschleife in eine mit Feuerstein eingefasste staubige Senke, liegt der Ort Such. Der erfindungsreiche Pioniergeist hat dem Städtchen eine Reihe neuer Namen beschert: Haggletown, Cardtown, Old-Eye-In-The-Hole und Hucksterville.
In den Casinos setzen die Arbeiter vom Schienenstrang ihr Geld
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