Der Eiserne Rat

Remade-Sträflingen oder nur aus Freien. Mit Zangen oder den eigenen stählernen Gliedmaßen ziehen sie die Schienen vom Wagen, je fünf Männer oder drei Kakti oder hünenhafte Remade, und legen sie ab mit mütterlicher Sanftheit. Kalibrierer bestimmen mit hölzernen, gekerbten Lehren den richtigen Abstand, machen Platz für die Motteks.
    Judah verwandelt jede Schiene vorübergehend in einen absurd geformten Golem. Außer ihm fühlt keiner von seinen Kameraden das schwache, fischähnliche Beben des Metalls, das sich bemüht, ihm zu helfen. Er verlegt Winkel durch die gegen das Lineal sich sträubende Natur. Er wird stark. Er verbringt eine Nacht auf dem Dach des Zuges, um zu wissen, wie es ist. Die Männer halten Ziegen dort oben und leisten sich sogar sorgsam eingedämmte Feuer.
    Ein vagabundierender Gaukler gibt längs der Strecke seine Vorstellungen. Judah schaut zu, wie er seine kleinen tanzenden Figuren bastelt, aber es sind keine Golems. Sie sind bloß Materie, aus geringer Entfernung mittels Handbewegungen geführt – direkte Manipulation. Sie besitzen keine begrenzte Realität, kein Quasi-Leben, keine vernunftlose Vernunft, die sie in die Lage versetzt, Befehle zu befolgen, ebenso wenig wie Marionetten.
    Sprüche und Parolen verunzieren den Zug und die Felswände. Jeden Morgen kann man sie bewundern: Teils sind es Schweinereien, dass der Stein errötet, teils persönliche Verunglimpfungen, andere sind polemisch: GEH ZUR HÖLLE WRIGHTBY. Zweimal sieht Judah, als die Glocke ihn im Morgengrauen nach draußen treibt, dass am Zug und an den Bäumen Plakate kleben.
    Einige verkünden ihre Botschaft in Schlagworten: GERECHTE BEZAHLUNG, GEWERKSCHAFTEN, FREIHEIT FÜR DIE REMADE, und darunter das Symbol einer Flamme. Andere sind von oben bis unten eng bedruckt. Judah versucht, so viel wie möglich zu lesen, während die Vorarbeiter sie herunterreißen.
     
    DAS LAUFFEUER
    Streckenkopf-Sonderausgabe 3
    Die Zahl der Todesfälle beim Bau der TRT Eisenbahn steigt, weil zu Gunsten des Profits notwendige Sicherheitsmaßnahmen vernachlässigt werden. Das rasante Wachstum der Strecke geht zu Lasten der Gesundheit der Arbeiter, sowohl der freien als auch der Remade …
     
    - Was in Jabbers Namen ficht diese Idioten an?, fragt einer, der es liest. – Wer ist nicht für gerechte Bezahlung? Und wenn jemand meint, wir brauchen Gilden – von mir aus. Aber freie Remade? Das sind verdammte Kriminelle, oder wissen die dösigen Spinner das nicht?
    Judah ist beeindruckt von der Kühnheit der Dissidenten. Sie schleichen nachts hinaus, trotz der Patrouillen. Würden sie erwischt, kämen sie nicht ungeschoren davon. Man würde sie der Landschaft einverleiben.
    Exemplare des LF liegen unter Tischen, auf Felsblöcken, die unter den Umständen einzig mögliche Art, das Blatt unter die Leute zu bringen. Judah nimmt sich welche und liest, wenn er allein ist.
    Die Dramen an der Strecke bekommt er nur am Rande mit. Er schuftet, hebt kaum den Blick beim Knattern von Gewehrfeuer weiter hinten. Später hört er, ein gemischter Trupp aus fReemade und Steppenschreitern, weit östlich von ihrem angenommenen Territorium, hat die Kolonnen hinter ihnen angegriffen. Sie wurden zurückgeschlagen, aber die Gendarmen finden es Besorgnis erregend, dass eine stolze Rasse wie die Steppenschreiter sich mit den grobschlächtigen fReemade gegen das Feuerross verbündet hat.
    Mit den Wochen und Meilen und Tonnen kommt der Frühling, und allmählich werden die Tage länger. Die Gegend um den eisernen Pfad wird karg. Judah kauert mit seinen Kameraden hinter einem umgestürzten Wagen, während ein Steppenschreiter-Clan den Abschnitt mit unidentifizierbaren Geschossen bombardiert. Der Geschützturm des Ewigen Zugs schwenkt herum und verstreut Granatentrichter wie Blumen.
    Judah liest im Lauffeuer.
     
    Die Borinatch, die Steppenschreiter, haben Grund, den TRT zu hassen. Geschäftemacher aus New Crobuzon stehlen ihnen ihr Land, und der Staat und die Miliz werden nicht lange auf sich warten lassen. Wer hat nicht von Nova Esperium gehört und den Massakern an den Eingeborenen dort? Jeder tote Eisenbahnarbeiter ist eine Tragödie, aber die Schuld liegt nicht bei den Borinatch, die Vergeltung an der falschen Stelle üben, deren Befürchtungen aber berechtigt sind. Schuld haben Weather Wrightby und der Bürgermeister und die Plutokraten von New Crobuzon, die sich an der Milch der Korruption laben. Wir fordern: Die Eisenbahn dem Volk und Frieden mit den