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Der eiserne Skorpion - Roman

Der eiserne Skorpion - Roman

Titel: Der eiserne Skorpion - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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beim zurückliegenden Mal der Einsatz von zweien vielleicht zur Übelkeit beigetragen hatte – und klebte es sich seitlich an den Hals. Da er die Abläufe schon kannte, nahm er eine Brechtüte zur Hand und versuchte, im Verstärker den Trennungsbefehl für die optische Verbindung einzuleiten. Es fiel ihm schwer, aber diesmal schaffte er es. Einen Augenblick später zog er die faseroptischen Stränge heraus und warf kurz einen Blick zur Seite, als die Maschine, zu der sie gehörten, sie wieder einzog.
    »Ich weiß nicht, was diese Memoladungen enthalten«, sagte Sadist. »Ich benötige deine Erlaubnis, um sie selbst herunterzuladen.«
    Cormac wusste nicht recht, wie er auf die offenkundige Neugier der KI reagieren sollte, aber er wünschte sich wirklich jemanden, mit dem er über all das reden konnte. Er blickte sich im Zimmer um und rechnete schon fast damit, jemanden an seinem Bett stehen zu sehen, aber dann wurde ihm das Herz schwer. Nur Crean hätte überhaupt noch hier sein können, aber sie hatte ihre Kabine nicht mehr verlassen, seit sie an Bord gekommen waren. Sadist hatte inzwischen einen Großteil der Umgebung rings um die Explosionsstelle sondiert und berichtet, dass er nur ein durch Hitze verformtes Keramalmesser gefunden hatte, das Spencer gehörte, die erstaunlich intakte Messingschnalle von Gormans Hosengürtel und Travis’ Beine. Alle drei Kameraden Cormacs waren verdampft worden. Crean hatte nur überlebt, weil sich eine Kettenglaswand abgeschält hatte und an sie gekracht war, sodass sie die Druckwelle wie ein Segel abfing und den Golem mehr als drei Kilometer weit aus dem Hypozentrum schleuderte. Ein absolut unwahrscheinlicher Glücksfall. Zufall.
    »Ich erlaube dir, sie herunterzuladen.« Er stockte. »Aber das letzte Kapitel – das kannst du erst laden, wenn ich es auch tue.«
    »Danke«, sagte die Schiffs-KI und setzte dann hinzu: »Erledigt.«
    Cormac war nur kurz verblüfft; natürlich konnte sich eine KI diese Erinnerungen innerhalb eines Augenblicks aneignen; das erinnerte nur wieder daran, welche Kluft zwischen ihm lag und den Intelligenzen, die die Polis regierten; auch zwischen ihm und Wesen wie Crean.
    »Mir fällt auf, dass jedem Kapitel Anhänge beigefügt sind und du nur die eigentlichen Kapitel geladen hast«, fuhr Sadist fort.
    »Anhänge?«
    »Sie sind offensichtlich mit deinem Verstand inkompatibel.« Sadist unterbrach sich. »Es handelt sich um Aufräumaktionen. Mir scheint offenkundig, dass deine Mutter deine erste Begegnung mit der Drohne, damals in Montana, zunächst nicht für bedeutsam hielt – obwohl sie der Meinung war, dass deine eher traumatische Begegnung mit Amistad vor der Schule sofort herauseditiert werden sollte. Nachdem sie erlebt hatte, welche Probleme Dax bekam, weil seine Erinnerungen nicht umfassend genug entfernt worden waren, entschied sie dann, auch die frühere Begegnung aus deinem Verstand zu löschen.«
    »Aufräumaktionen?«, fragte Cormac, obwohl er eine Ahnung hatte, wovon die Schiffs-KI sprach.
    »Jedes Mal, wenn du tief über die Begegnung mit der Drohne in Montana nachdachtest, hast du mit anderen darüber gesprochen. Andere, weniger nachhaltig prägende Gelegenheiten wurden nicht entfernt, aber der menschliche Verstand neigt dazu, Erinnerungen selbst zu editieren, wenn sie nicht in die Geschichte des eigenen Lebens passen.«
    Das war nun eine Äußerung, über die er nachdenken musste, und er fragte sich, wie viel von dem Zeug zwischen seinen Ohren wirklich Realität widerspiegelte, selbst wo nicht absichtlich manipuliert. Allerdings hatte er Kopfschmerzen, war ihm aufs Neue schlecht und wurde das, was zunächst der Schock über den Verlust der Freunde gewesen war, zu tiefer Betrübnis. War es Trauer?, fragte er sich. Er war nicht sicher, denn »Trauer« war ein solch unscharfer Begriff. Hätte sie erfordert, dass er laut heulte, sich irrational verhielt? Er wusste es nicht, war aber überzeugt, dass er das Gefühl, verraten worden zu sein, richtig erkannt hatte.
    »Wie du gesehen hast, hat sie mich betäubt«, sagte er.
    »Das scheint mir eine extreme Maßnahme, wie es mir auch extrem erscheint, den Verstand eines Kindes zu editieren, damit es nicht vom Tod seines Vaters erfährt, aber ein solches Vorgehen war nicht wenig verbreitet«, sagte Sadist. »Im Krieg war der Schmerz ein ständiger Begleiter, und viele nahmen den einfachen Weg und löschten ihn aus ihrem Bewusstsein.«
    Cormac setzte sich auf und hielt die Brechtüte fest im Griff.

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