Der eiserne Skorpion - Roman
versucht, Carls Waffe unter seiner Jacke zu verstecken, entschied sich aber im letzten Moment dagegen. Vielleicht war Loyalität innerhalb einer Einheit wichtig, aber das konnte nur bis zu einem bestimmten Punkt reichen. Zwei Militärpolizisten stiegen aus dem Fahrzeug; einer von beiden blieb stehen und hielt den anderen mit der Hand auf, während er in sein Komgerät lauschte. Einen Augenblick später stiegen beide wieder in ihr Fahrzeug, und es startete.
»Merkwürdig«, kommentierte Yallow.
Als die Ambulanz schließlich aufstieg, setzte ein weiteres Fahrzeug zur Landung an. Es war ein robustes Vehikel, das sich in nichts von einem beliebigen Zivilfahrzeug unterschied. Eine schlanke Frau stieg aus, und Cormac erkannte sie sofort. Sie hatte lange blonde Haare, am Hinterkopf mit einem Lederband zusammengebunden, und trug einen abgewetzten grauen Umweltanzug und einen langen Ledermantel. Sie gehörte zu dem Paar, das er an Bord des Schwertransporters vorläufig als ECS-Agenten identifiziert hatte.
»Nun, ihr wart ja richtig fleißig«, sagte sie, blickte der abfliegenden Ambulanz nach und senkte den Blick dann zu den dunklen Flecken auf dem Bodengitter. Dann fasste sie Yallow unverwandt ins Auge. »Ich habe mir deine Aufnahme angesehen.« Sie tippte sich an den unauffälligen Verstärker hinter dem Ohr. »Jetzt möchte ich von euch beiden jedoch Einzelheiten hören.« Sie wandte sich Cormac zu und betrachtete dabei besonders die Waffe in seiner Hand.
»Es ist Carls«, sagte er und warf sie ihr zu.
Völlig mühelos fing sie sie auf, betrachtete sie kurz forschend und entfernte dann den Gasbehälter der Pistole, ehe sie diese unter den Ledermantel steckte.
»Suchen wir uns einen Platz, wo wir gemütlicher plaudern können.«
2
Cormac saß vor seinem Monitor und rief die Wörterlisten für das Basissprachmodul des dritten Stadiums auf, und er sehnte sich dabei nach der kurzen Zeitspanne zurück, als es noch keine Einschränkungen für Bildung durch direkten Download gegeben hatte. Er nahm seine Packung mit Memo-b-Medikamentenpflastern zur Hand, nahm eines heraus, schälte die Schutzfolie ab und drückte sich das Pflaster an den Hals. Er erlebte weder Rausch noch Schädelbrummen, aber er wusste, dass er nur diese Liste durchzulesen und die zahlreichen Hyperlinks aufzurufen brauchte, damit die einprägenden Proteine und Enzyme des Memo-b dieses Wissen beim Lesedurchgang in sein Gedächtnis einbrannten.
Aufs Geratewohl griff er ein Wort aus der Liste heraus – Bandwurm –, folgte den Hyperlinks und erfuhr mehr über parasitäre Plattwürmer, als ihm lieb war. Sprachlinks nannten ihm die Übersetzung in die ausgewählten Sprachen Neumandarin, Hindi, Jupiterwelsch, Italienisch und Singhalesisch. Dabei lernte er die assoziierten Nuancen und noch mehr über die parasitären Würmer, die einst die einschlägigen Kulturen heimgesucht hatten. Ein Exkurs ermöglichte ihm, sich ein wenig in Helminthologie zu vertiefen, wo er ein Lesezeichen setzte, um das Thema später unter Biologie zu vertiefen. Das Warn-Icon, das ihn auf den Ablauf der zur Verfügung stehenden Zeit aufmerksam machte, leuchtete auf, und so kehrte er widerstrebend zur Hauptseite zurück und suchte ein weiteres Wort aus. Etwa zwanzig Wörter später wurde das Icon grau und markierte so das Ende des Moduls. Als Nächstes kam Physik an die Reihe, dann Biologie, dann Mathematik, gefolgt von Synergistik, die eine Kombination aller vorangegangenen Module darstellte. Inzwischen wurde es jedoch Zeit für Assoziierung.
Cormac wünschte sich jetzt in die Zeit vor einigen Jahrhunderten zurück, als nach dem Zusammenbruch der alten Schulsysteme und der Einführung der ersten KIs die Schüler ihre komplette Schulbildung zu Hause über das jeweilige Netlink erhalten hatten. Nach der Machtübernahme entschieden die KIs jedoch, dass derlei Methoden nicht genug »Interaktion« boten, und so entstanden erneut zentralisierte Schulen. Cormac hatte im Grunde nichts gegen Assoziierung; ihm widerstrebte einfach die Unterbrechung, wenn er interessanten Stoff gefunden hatte, dem er gern nachgegangen wäre. In seiner Schülerakte, auf die er einmal über die Schulter seiner Mutter einen verstohlenen Blick geworfen hatte, hieß das »autistischer Spektrumfokus, subkritisch, Justierung nach elterlicher Wahl«. Er war nicht ganz schlau aus all dem geworden, da ihn jede Suche nur auf geheimnisvolle Hirnfunktionen und psychologische Studien hinwies, was ihn wiederum nur an andere
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