Der eiserne Skorpion - Roman
Cormac rückte vor, indem er die nächste Etappe jeweils kritisch prüfte und rasch und lautlos von Baum zu Baum huschte. Ein schwaches Leuchten wie von Glühwürmchen verriet letztlich die Position der Posten.
Ich habe Wachtposten entdeckt, sendete Cormac über die Textfunktion des Verstärkers.
Wirst du mit ihnen fertig?, fragte Gorman.
Cormac fuhr sachte die Infraroterfassung der Brille hoch. Das schwache Leuchten ging auf eine antike Laterne zurück. Anscheinend war sie kürzlich benutzt worden, und der Glühfaden musste erst noch abkühlen. Jetzt, da die Infraroterfassung auf hundert Prozent war, konnte Cormac die eigentliche Lampe erkennen, das Versteck unterhalb von ihm und das Leuchten zweier Gestalten darin.
Ich glaube, antwortete er.
Glauben reicht nicht, warf Travis ein.
Absolut, sagte Gorman. Und sorge dafür, dass du sie erst identifizierst.
Natürlich: Eine der beiden Personen dort konnte Sheen sein.
Cormac erhöhte die Vergrößerung seiner Brille, während er sich auf den Erdboden legte und langsam auf das Versteck zukroch. Er schaltete die Kühlung seines Anzugs ab, damit an den Luftauslässen nichts zu sehen war – nur für den Fall, dass die Leute vor ihm Nachtsichtbrillen hatten. Auch per Infrarot konnten sie ihn nicht erkennen, denn sein Chamäleonstoff-Kampfanzug wies eine nahezu perfekte Isolierschicht auf, weshalb ja auch eine Kühlung und der entsprechende Luftauslass nötig waren. Sofort stieg die Temperatur im Anzug, und Cormac fing an zu schwitzen.
Er arbeitete sich vorsichtig voran, nutzte alles an Deckung, was sich bot, wich Zweigen und trockenen Blättern aus, bewegte sich durch langsame Muskeltätigkeit, die kaum ein Geräusch erzeugte. Er hatte bis zur Ausbildung in virtueller Realität gar nicht geglaubt, dass man sich so lautlos fortbewegen konnte, aber jetzt tat er es zum ersten Mal in der Wirklichkeit, und so ging er mit größtmöglichem Bedacht zu Werk. Nach zehn Minuten hatte er sich dem Versteck auf knapp fünf Meter genähert. Eine der Personen darin spähte vorne aus dem Unterstand hervor, und anhand ihrer Körpergröße wurde Cormac deutlich, dass er es dabei nicht mit Sheen zu tun hatte.
»Wenigstens regnet es nicht«, sagte eine Männerstimme in dem Versteck.
Cormac streckte eine Hand nach vorn aus, drückte sie an den Baum direkt vor ihm und legte einen Großteil des eigenen Gewichts darauf, während er sich langsam und vorsichtig aufrichtete.
»Immer das beschissene Positive sehen«, entgegnete eine zweite Männerstimme. »Wir müssen die Nacht hier draußen verbringen, während uns Käferraupen in den Hintern kriechen, und du erkennst gleich die lichte Seite, wie?«
»Es könnte schlimmer sein.«
»Ja klar, der Kaffee könnte kalt sein, und ich könnte Streusand im Kuchen haben.« Der Mann unterbrach sich kurz. »Oh klar, der Kaffee ist kalt, und ich habe Streusand im Kuchen.«
»Ja, okay ...«
Zwei Männer. Also war Sheen nicht hier, und Cormac musste alle beide umbringen. Einen Augenblick lang dachte er über andere Aspekte seiner Ausbildung nach – diese Geschichte über den Feind als Mensch, über die Wahrung gefühlsmäßiger Distanz –, aber er stellte fest, dass er völlig kalt war, obwohl er die beiden reden gehört hatte. Ja, das waren zwei Personen mit eigenem Leben, mit Verwandten, Familie, vielleicht Ehefrauen und Kindern. Er wusste aber auch: Läge er jetzt gefesselt vor ihnen, hätte sehr wahrscheinlich einer von ihnen über »Streusand im Kuchen« gemeckert, während er den Schneidbrenner holte. Cormac stellte per Verstärker eine Softwareverbindung zwischen Gehirn und Waffe her, rief ein Zielerfassungsgitter in der Nachtsichtbrille auf, trat hinter dem Baum hervor und ging auf den Unterstand zu, wobei er das Gitter auf den vor ihm sichtbaren Kopf einrichtete.
»He, ich denke, ich sehe ...«
Cormac drückte ab, und seine vollautomatische Pistole zitterte und flüsterte. Stücke, die noch immer infrarot leuchteten, spritzten von dem Mann weg nach hinten, als der größte Teil seines Schädels verschwand. Der andere war jetzt durch das Loch in der Vorderseite des Verstecks sichtbar und krabbelte auf Händen und Knien auf ein Impulsgewehr zu, das in seiner Nähe lag. Cormac traf ihn einmal und schleuderte ihn damit an die hintere Erdwand des Unterstands. Dann richtete er das Zielerfassungsgitter auf den Kopf des Mannes aus, während sich dieser aufzurichten versuchte. Das Gesicht, das in der Infrarotaufnahme beinahe skeletthaft wirkte,
Weitere Kostenlose Bücher