Der eiserne Thron
schon sehr früh damit an, hier in Nebelhafen .«
»Sie ist noch ein Kind!« sagte Owen. »Mein Gott, was habe
ich getan?«
»Sie hätte dich ohne zu zögern getötet«, sagte Hazel.
»Glaube mir, sie hätte keinen zweiten Gedanken mehr an dich
verschwendet. Mach ein Ende, Owen. Wir müssen von hier
verschwinden.«
Owen wandte sich wütend zu Hazel um. »Was meint Ihr mit
›nach ein Ende‹?«
»Willst du sie so hier liegenlassen? Wenn sie Glück hat,
verblutet sie. Wenn nicht, und wenn der Wundbrand ihr nicht
langsam den Garaus macht, dann ist sie für den Rest ihres
Lebens ein Krüppel. Und was das bedeutet, kannst du dir ja
wohl denken. Auf Nebelwelt ist kein Platz für Kranke und
Schwache. Es ist gnädiger, wenn du ihrem Leben an Ort und
Stelle ein Ende setzt. Oder soll ich es vielleicht für dich tun?«
»Nein!« preßte Owen zwischen den Zähnen hervor. »Nein!
Ich bin der Todtsteltzer! Ich wische meinen Dreck selbst auf!«
Owen zog den Dolch aus seinem Stiefel und stieß ihn fachmännisch ins Herz des Mädchens. Sie stöhnte nicht einmal,
sondern hörte einfach nur auf zu atmen, und ihre Augen richteten sich in unendliche Fernen. Owen zog den Dolch aus
ihrer Brust und setzte sich schweigend neben sie. Er wiegte
sich leicht hin und her und versuchte, seine Emotionen unter
Kontrolle zu halten. Hazel kniete neben ihm nieder und wußte
nicht genau, was sie machen sollte. Sie hätte ihm gerne eine
Hand auf die Schulter gelegt und ihn getröstet, hätte ihn gerne
wissen lassen, daß sie da war und ihn verstand, aber sie war
nicht sicher, wie er es aufnehmen würde. Er war ein so unglaublich starker Mann, und stolz obendrein, aber er zeigte
unerwartete Schwächen. Und wenn man Schwächen hatte,
dann würde diese verdammte Welt sie finden.
Hazel hatte keine Ahnung gehabt, daß der Todtsteltzer ein
weiches Herz besaß. Er war ihr immer als der vollkommene
Krieger und Aristokrat erschienen. Jetzt erkannte sie eine
neue Seite an ihm, doch sie war sich nicht sicher, ob sie sie
mochte oder nicht. Wenn man ein Gesetzloser war, dann
konnte eine einzige Schwäche schon reichen, und man war
tot. Sie legte zaghaft die Hand auf seine Schulter, bereit, sie
jederzeit wieder zurückzuziehen, aber er schien ihre Gegenwart nicht einmal wahrzunehmen. Sie konnte spüren, wie verkrampft er war, und sie wußte, daß genausoviel Wut wie Sorgen in ihm brodelten. Hazel blickte zurück zu dem Hadenmann mit seinen unnatürlichen, goldenen Augen, und sie
mußte den Blick abwenden. Plötzlich sprang Owen auf die
Beine. Sein Blick war noch immer auf den armseligen kleinen
Körper gerichtet.
»Es ist einfach nicht richtig«, sagte er tonlos. »Niemand
sollte auf diese Weise leben müssen. Oder auf diese Weise
sterben.«
»Aber es geschieht überall«, erwiderte Hazel. »Nicht nur
auf Nebelwelt , sondern überall im gesamten Imperium. Du
bist reich, besitzt einen Titel – was kannst du schon über das
Leben der unteren Klassen wissen?«
»Ich hätte es wissen müssen. Ich bin Historiker. Ich habe
die Aufzeichnungen studiert. Ich wußte, daß früher solche
Dinge geschehen sind. Aber ich hätte nicht im Traum gedacht,
daß …«
»Geschichte ist doch nur das, was das Imperium als Geschichte darstellt«, mischte sich Mond mit seiner rasselnden,
summenden Stimme ein. »Das Imperium entscheidet, was
aufgezeichnet wird. Aber selbst die leuchtendste Blume hat
Dreck an ihren Wurzeln.«
»Nein!« sagte Owen. »Es darf nicht so bleiben, wie es jetzt
ist. Dafür stehe ich mit meinem Namen. Ich bin der Todtsteltzer, und ich werde nicht erlauben, daß es so weitergeht.«
»Und was willst du dagegen unternehmen?« fragte Hazel.
»Das Imperium zerstören?«
Owen blickte sie lange schweigend an. Schließlich antwortete er: »Ich weiß es nicht. Vielleicht. Wenn es nötig ist, um
das hier zu ändern.«
Er wandte Hazel und dem toten Kind den Rücken zu und
ging zu dem Hadenmann hinüber. »Nach dem, was ich gehört
habe, gibt es nur noch wenig mehr als ein Dutzend von Euch
im gesamten Imperium. Was kann ich Eurer Meinung nach
für Euch tun? Die Imperatorin hat alle Eurer Art zum Tode
verurteilt, weil Ihr eine Gefahr für das Imperium und die gesamte Menschheit darstellt. Ich kann nicht sagen, daß ich ihr
deswegen einen Vorwurf mache – wenn man bedenkt, welche
Folgen Euer Aufstand hatte. Ihr habt Millionen getötet. Und
wenn Ihr Erfolg gehabt hättet …«
»Hätten wir noch Millionen mehr getötet«,
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