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Der eiserne Thron

Der eiserne Thron

Titel: Der eiserne Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon R. Green
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Und dann brach
plötzlich Gregor Shreck durch die tobende Menge, in der
Hand die goldene Kordel, das Gesicht rot vor rasender Wut.
Letitia wich ängstlich vor ihm zurück. Bevor noch jemand
wußte, was der alte Shreck vorhatte, warf er die goldene
Schnur um den Hals seiner Nichte und zog sie zu. Ihre Augen
quollen hervor, als sie verzweifelt um Luft kämpfte, und sie
umklammerte hilflos die Handgelenke des alten Shreck. Er
wirbelte sie herum, stemmte das Knie in ihren Rücken und
verstärkte seinen Griff noch. Die Muskeln in seinen Armen
traten deutlich hervor. Robert stürzte vor, um ihn aufzuhalten,
aber William und Gerald hielten ihn mit kalten, leidenschaftslosen Gesichtern gepackt, so sehr er auch gegen sie kämpfte
und sich wehrte.
Letitias Gesicht wurde entsetzlich rot, und die Zunge hing
aus dem Mund. In der Menge wurden Rufe und Schreie laut,
doch niemand machte Anstalten, ihr zu Hilfe zu kommen.
Robert kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung gegen seine
beiden Onkel, aber William und Gerald hatten ihn im Griff.
Er schrie Letitias Namen. Ihm war nicht bewußt, daß er weinte. Letitia sank zu Boden, nur noch durch das strangulierende
Seil in den Händen des alten Shreck gehalten. Dann, als ihr
Ende nahte, wurde es im Ballsaal plötzlich ganz still. Nur
noch der stoßweise Atem des Shreck, das letzte panische Röcheln Letitias und Roberts gequältes Schluchzen waren zu
vernehmen. Schließlich verdrehte Letitia die Augen nach
oben. Ihr Körper wurde schlaff, und Gregor Shreck lockerte
beinahe zögernd seinen Griff. Leblos sank die Braut zu Boden
und rührte sich nicht mehr.
Gregor wandte sich an Finlay, das Gesicht von der Anstrengung noch immer hochrot, sein Atem stoßweise hechelnd.
»Ich bitte um Verzeihung für mich und meinen Clan und präsentiere Euch diesen Tod als Sühne. Darf ich hoffen, daß Ihr
uns vergebt?«
»Wir vergeben Euch«, erwiderte Finlay Feldglöck. »Der
Ehre ist Genüge getan. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt über eine andere Braut beraten, so daß die Heirat dennoch stattfinden kann. Diese Zeremonie soll vergessen sein
und niemals wieder erwähnt werden.«
Er nickte William und Gerald zu, und sie ließen Robert los.
Der junge Bräutigam stolperte vor und kniete neben Letitias
Leichnam nieder. Finlay blickte über seine Familie und dirigierte sie mit den Augen aus dem Saal. Die Shrecks folgten
ihnen, dann die Wolfs, und schließlich der Vikar James Kassar mit seinen Leuten, bis nur noch Robert Feldglöck übrig
war. Noch immer kniete er neben seiner toten Braut, und noch
immer hielt er ihre blasse Hand in der seinen.
Draußen, auf dem Gang, musterte der alte Shreck schweigend seine Lieblingstochter Evangeline. Es soll ihr eine Lehre
sein, dachte er. Er würde auch sie töten, wenn es sein mußte.
Er hatte es schon früher getan. Bei dem Gedanken stahl sich
ein kaltes Lächeln auf sein Mondgesicht. Er hatte seine wirkliche Tochter Evangeline getötet, weil sie ihn nicht so hatte
lieben wollen wie er sie.
Wie eine Frau einen Mann.
Er war der Shreck, und man hatte ihm zu gehorchen.
K APITEL A CHT
I
M
U
NTERGRUND
    Das schwierige mit Untergrundbewegungen ist , daß sie ihren
Namen meist zu wörtlich nehmen, dachte Valentin bissig. Er
kämpfte sich durch den engen Wartungstunnel voran, die
Schultern nach vorn gebeugt und den Kopf eingezogen, um
nicht ständig gegen die niedrige Decke zu stoßen. Der Tunnel
erstreckte sich endlos vor ihm, eng und düster und uneingeschränkt deprimierend. Schwach brennende Lampen hingen in
regelmäßigen Abständen an der Wand. Sie verbreiteten eben
genug Licht, um ihn mit schmerzenden Augen in die vor ihm
liegende Dunkelheit schielen zu lassen. Ein unentwirrbares
Durcheinander von Kabeln erstreckte sich an den Wänden
und der Decke, in farbigen Kodierungen, die wahrscheinlich
einen Sinn ergaben, wenn man sich damit auskannte. Für Valentin waren es nur schrille, bunte Farben, weiter nichts. Einige Kabel waren durchgescheuert und hingen lose herab wie
Ranken, und er mußte sich seinen Weg bahnen, indem er die
Enden mit dem Arm zur Seite schlug. Überall lag Dreck und
Staub. Offensichtlich war der Tunnel schon lange nicht mehr
benutzt worden, aber Valentin hatte vollstes Verständnis dafür. Die Aussicht war in höchstem Maße monoton, und der
Geruch war entsetzlich.
    Er befand sich tief in den Eingeweiden der Welt, in ihrer
verborgenen Unterseite: dem Labyrinth aus Abwasserkanälen
und

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