Der eiserne Thron
Ränkespielen und
verschlungenen Plänen. An manchen Tages ist es gesünder,
wenn man am Hof nicht hustet und sich nicht hinter dem Ohr
kratzt, weil jemand es als geheimes Zeichen für den Beginn
irgendeiner Gewalttat mißdeuten könnte. Aber das weißt du
doch alles selbst, Vater. Dazu brauchst du mich nicht.«
Der alte Wolf lächelte schwach. Es war kein schöner Anblick. »Also hast du wenigstens aufgepaßt, Sohn. Deine Antwort ist so gut wie jede andere, aber welche würdest du dir
aussuchen? Wo liegt die wahre Gefahr für die Imperatorin
und für uns?«
Valentin Wolf riß ein weiteres Blütenblatt ab und kaute darauf herum. Helle Flecken erschienen auf seinem Gesicht wie
schlecht aufgelegtes Rouge, und seine rätselhaften Augen
sahen geheimnisvolle Dinge. »Die Fremdwesen sind zu weit
von uns weg, um eine Gefahr darzustellen, die unserer geliebten Majestät bereits jetzt Sorgen bereiten könnte. Vielleicht
sollten wir einfach hingehen und die beiden Rassen miteinander bekannt machen. Wir könnten uns zurücklehnen und zusehen, während sie die Sache unter sich auskämpfen. Die Kyberratten sind zu wenige und weit davon entfernt, mehr als ein
Ärgernis darzustellen. Und die Klon-Bewegung hat nicht die
Mittel, um als wirkliche politische Kraft aus dem Untergrund
zu treten. Die Elfen waren in letzter Zeit erstaunlich ruhig.
Das ist sicher kein dauerhafter Zustand, aber ich würde sagen,
sie haben zumindest in den vergangenen Tagen nichts verbrochen, was die plötzlichen Einberufungen seitens unserer geliebten Majestät begründen oder gar rechtfertigen könnte.
Nein, ich fürchte, der Anlaß ist weitaus banaler als all das.
Die liebe Löwenstein hat jemanden mit heruntergelassenen
Hosen oder den Händen in der Kasse erwischt und möchte
uns einschüchtern. Wir sollen kleinlaut zusehen, während sie
ein sehr lehrreiches und unerfreuliches Exempel an dem armen Bösewicht statuiert. Die Schöne ohne Gnade. Unsere
Dame der Schmerzen. Die Eiserne Hexe.«
Jakob Wolf nickte nachdenklich und dehnte seine gewaltigen Muskeln. »Gut. Wahrscheinlich hast du recht. Einem von
uns Lords soll der Kopf abgerissen werden, und sie will, daß
wir dabei zusehen und uns daran erinnern, wer das Sagen am
Hof hat. Also nichts wirklich Neues, mit Ausnahme der Tatsache, daß ich zum ersten Mal nicht die leiseste Ahnung habe,
wer es sein könnte. Und das erscheint mir doch ziemlich eigenartig. Normalerweise sind die Gerüchte so laut, daß meine
Agenten sie gar nicht überhören können. Also nimm dich in
acht, wenn wir am Hof eintreffen, Junge. Halte deinen Mund
fest verschlossen und bewahre einen klaren Kopf, und laß
dich von mir führen.«
»Du kannst dich auf mich verlassen, Vater.« Valentin
schluckte das letzte Blütenblatt und begann auf dem Stengel
zu kauen, ohne die Dornen zu beachten. Ein dünner Faden aus
Speichel vermischt mit Blut rann über sein Kinn, als er lächelte. Sein Vater wandte angewidert die Augen ab.
Die Vorhalle des Imperialen Hofes war groß genug, um jeden
anderen Hof in Verlegenheit zu bringen. Eine gewaltige, weitläufige Halle aus glänzendem Stahl und Messing, die sich in
jede Richtung weiter erstreckte, als das Auge sehen konnte.
Hier und da wurde die Aussicht von reichverzierten Säulen
aus Gold und Silber unterbrochen, die in regelmäßigen Abständen mehr wegen des Eindrucks denn als Stützen errichtet
worden waren. Eine wahre Menschenmasse erfüllte dichtgedrängt die Halle von einer Wand zur anderen. Jeder, der etwas
auf sich hielt oder etwas darstellte (oder das zumindest von
sich dachte), erschien zur Audienz der Herrscherin bei Hofe,
um die Hände derer zu schütteln, die zur Zeit in der Gunst der
Imperatorin standen – oder die Nase über die zu rümpfen, die
in Ungnade gefallen waren. Man verabredete Hochzeiten,
besprach geschäftliche Transaktionen oder fand sich einfach
nur ein, um sich vor den Myriaden draußen im Imperium auf
den Holoschirmen zu zeigen. Speisen und Getränke aller Arten waren frei und wurden von livrierten Dienern gereicht,
aber nur wenige griffen zu. Das Warten auf die Herrscherin
und die gespannte Frage, in welcher Stimmung sie sein würde, beflügelte nicht gerade den Appetit. Außerdem besaß Löwenstein eine ziemlich scheußliche Art von Humor, die sich
hin und wieder im angebotenen Essen entlud.
Alle Familien waren anwesend: die Crème de la Crème der
Aristokratie, in vorsichtigem Abstand von eingeschworenen
Feinden oder
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