Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
Vom Netzwerk:
Erstickte Rhythmen und mahlende Pfeif- und Grunzlaute. Irgendwann ergänzten klingelnde Glocken das Gemisch, und ich kam mir vor, als steckte ich in einem Windspiel fest, das mich volltönend herumwirbelte und in meine Einzelteile zerlegte.
    »Willkommen in der Welt der Klänge«, schaltete sich eine Stimme ein. Es war die des Zigeuners, aber vollkommen verändert. Jetzt dröhnte jedes Wort und hallte noch lange nach. »Entspannen Sie sich, und lassen Sie sich davontragen.«
    Alles in mir schrie danach, wach zu bleiben, doch ich spürte bereits, wie ich mich auflöste und die Musik sich einen Zugang schuf. Mich entfesselte. Ich versuchte meine Gedanken auf Frost zu konzentrieren, auf meine Flucht, darauf, wie ich aus diesem seltsamen Sarg rauskommen und mich befreien könnte.
    Freiheit.
    Mit diesem Gefühl glitt ich ins Nichts. Besser als Schlaf, besser als jeder Traum. Einen Moment lang versuchte ich noch, gegen das Gefühl anzukämpfen, doch dann gab ich auf.
    Ich meine, wer will denn bitte schön nicht frei sein?
    *
    Ich sah Bäume. Überall. Riesige Labyrinthe aus glänzendem Metall. Jeden Wald, den Pa und ich jemals gebaut hatten. All unsere Bäume waren groß gewachsen und verwildert, ohne den kleinsten Rostfleck.
    Mitten zwischen den Bäumen stand mein Vater in dreißig Metern Höhe auf einem Gerüst. Und ich hing auf seinem Rücken, eingewickelt in eine Decke. Er hatte sich den Stoff um die Schultern geschlungen und am Bauch verknotet.
    Mein Vater baute. Hämmernd sorgte er für den letzten Schliff, indem er das Metall so zurechtbog, dass es die Sonne einfing. Ich spürte, wie er den Hammer schwang, sah die Schweißtropfen, die sich in seinem Nacken sammelten. Während er stählerne Nieten verschweißte, beobachtete ich den Funkenflug. Und als er die Leitern hinunterkletterte, wurde ich kichernd auf seinem Rücken durchgeschüttelt.
    Unten angekommen blickte mein Vater hoch in die Baumkrone, und ich starrte ebenfalls hinauf, lauschte auf die Töne, die der Wind zwischen den Zweigen erzeugte, und sah zu, wie er den Blättern ihren ganz eigenen Rhythmus entlockte.
    Wieder hörte ich die Musik des Zigeuners.
    Und dann war ich älter. Zusammengerollt lag ich hinten im Wagen, aß Popcorn und hörte meinem Vater zu, wie er mir vorlas.
    Er erzählte mir Geschichten von weit entfernten Orten, die früher einmal existiert hatten. Geschichten, die unzählige Väter vor ihm bereits erzählt hatten. Geschichten von Bären, Wölfen und Lachsen in den Flüssen. Dem Geruch eines Holzfeuers. Dem Gesang der Vögel und der zarten Berührung ihrer Flügel.
    Mein Vater erzählte immer weiter, bis ich einschlief und davon träumte, in einem echten Wald aufzuwachen, in dem unsere Bäume zum Leben erwacht waren und wild wucherten.
    Borke, Moos, Zweige und Spinnen.
    In dem Traum versuchte ich, meinen Vater aufzuwecken, damit er die Bäume auch sehen konnte, aber dann kam vom Himmel das durchdringende Geräusch der Heuschrecken. Und als wieder Stille herrschte, waren die Bäume alle dürr und verkrüppelt, schwarz und kalt. Der Wind setzte ein und wehte die Bäume um, einer nach dem anderen stürzte auf uns herunter und zerbrach, bis ich anfing, sie aufzufangen und in Asche zu pflanzen.
    Wieder ertönte die Musik. Bei ihrem Klang verblassten die Bäume, die ich gepflanzt hatte, und Pa und ich wurden draußen hinter den Maisfeldern im Staub abgesetzt. Wir saßen mit dem Rücken zu den Pflanzen und sahen Vega in der Ferne schimmern wie ein Licht, das jemand nicht ausgeschaltet hatte.
    Nur noch ein Tag, dann hätten wir die Stadt erreicht. Aber dann war es plötzlich Nacht, und Pa weckte mich, sagte mir, dass er draußen Stimmen gehört habe. Und der Staubsturm tobte und verschluckte den Himmel, und ich wollte rausgehen und Pa suchen, aber ich hatte zu viel Schiss. Und als ich endlich aus dem Wagen kroch, war es zu spät. Nachdem der Sturm weitergezogen war, gab es keine Spuren mehr. Keine Fußabdrücke, keine Schatten. Nur Erde und Sand, die sich bis zu den Mauern von Electric City erstreckten.
    Pa war weg.
    Gestohlen.
    Verschwunden wie das Gras.
    Ich konnte mich selbst sehen, wie ich zusammengekauert im Wagen hockte. Mein Gesicht war voller Dreck und vom Weinen angeschwollen, und mein gesamter Körper zitterte, als ich langsam begriff, wie allein ich nun war und immer sein würde.
    Danach herrschte nur noch Leere.

Kapitel 14
    A ls ich die Augen wieder aufschlug, fühlte ich mich verschwitzt und ausgelaugt. Die Brille war

Weitere Kostenlose Bücher