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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
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mit den Fingern über Hinas funkelndes Gesicht, tippte auf jedes ihrer Spiegelbilder und lachte, als sie mich hinter sich entdeckte.
    »Das ist unglaublich«, sagte sie dann.
    »Es ist schön, dich darin zu sehen.« Die Worte lösten sich von meinen Lippen, bevor sie mein Gehirn erreichen konnten. Mein Mund hatte meinen Verstand ausgetrickst.
    »Ach ja?« Alpha drehte sich zu mir um.
    Ihre Nähe ließ meine Haut kribbeln. Meine Knochen fühlten sich plötzlich ganz schwer an, sie schienen nicht mehr richtig mit dem Rest meines Körpers verbunden zu sein. Meine Gedanken überschlugen sich, und mein Herz raste – keine Ahnung, wer von ihnen schneller war.
    »Also«, sagte sie. »Dann bist du jetzt fertig.«
    »Schätze schon.«
    »Du schätzt?« Das klang fast ein wenig verbittert. Ich wollte noch etwas sagen, aber sie kam mir zuvor: »Entspann dich, Freundchen. Ich bringe dich zurück zur Straße, dann kannst du weiterziehen.«
    »Ich ziehe nicht weiter«, schoss ich zurück. »Ich muss meinen Vater finden.«
    Alpha lachte, aber irgendwie hatte es seine Kraft verloren. Sie setzte sich an den Rand des Gerüsts, zog die Stiefel aus und ließ die Füße über dem Wald baumeln. Und ich stand reglos da und starrte auf die Stelle hinunter, wo die Farne in bröckelige alte Straßen übergingen.
    »Du willst also den Rest deines Lebens hier verbringen?«, fragte ich. »In Old Orleans?«
    »Es gibt schlimmere Ecken.«
    »Warst du mal da?«
    »Solange sie nicht zwischen hier und der Vierzig liegen, nicht.«
    »Dann warst du also noch nie irgendwo.«
    »Wo kann man denn schon hin?« Bei ihr klang das so, als wäre damit alles gesagt, aber ich dachte an die weiten Ebenen, die Brandung und die endlosen Kilometer Dreck dazwischen. Und ich dachte an die elektrischen Lichter, die Skyline von Vega, die aussah wie ein funkelndes, strahlendes Gebirge aus Beton, unter dem wogenden Qualm und der fliegenden Asche der Lava, die aus dem Großen Graben quoll.
    »Niagara ist ganz schön«, sagte ich schließlich. »Die Soljahs haben hinter den Wasserfällen eine richtige Stadt gebaut. Da gibt es immerhin etwas zu sehen. Allerdings ist das Wasser so laut, dass man kaum seine eigenen Gedanken verstehen kann.«
    Einen Moment lang war ich kurz davor, Alpha von den Bäumen, Pa und dem alten Rasta mit der Borkenhaut zu erzählen. Von den Koordinaten und dem Gelobten Land. Aber konnte ich ihr trauen? Sie war doch wahrscheinlich loyal gegenüber ihrem Captain, und bei dieser Sache konnten wir keine Piratenarmee gebrauchen. Außerdem wollte ich nicht, dass Alpha in mir nur eine Art Fahrschein sah. Sie hatte angeboten, mir zu helfen und mich zu meinem Wagen zurückzubringen. Und seit Pas Entführung hatte mir niemand mehr bei irgendetwas geholfen.
    »Was ist mit deiner Schwester passiert?« Ich setzte mich neben sie und versuchte, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
    Alpha zögerte kurz, bevor sie antwortete: »Sie ist verhungert.«
    »Scheiße.«
    »Sie hatte gerade erst laufen gelernt.«
    »Konntet ihr denn nichts zu essen für sie auftreiben?«
    »Das war es nicht. Wenn sie Mais gegessen hat, ist ihr Hals zugeschwollen. Als meine Mom dann weg war, konnte ich nichts mehr tun.«
    »Es war also nicht deine Schuld.«
    »Das macht es auch nicht leichter.«
    »Meine Mutter ist auch verhungert«, sagte ich, weil mir nichts anderes einfiel. »Ich war noch ganz klein. Wir sind auf der Thousand Mile Road liegen geblieben, und mein Dad war zu lange unterwegs, um Ersatzteile zu besorgen. Er hat erzählt, als er mit letzter Kraft zurückkam, war meine Mom tot und ich atmete kaum noch. Und manchmal grübele ich darüber nach, was sie da getan hat. Sie hat sich geopfert, damit ich weiterleben konnte. Das ist wohl die schlimmste Art zu gehen.«
    »Jede Art ist die schlimmste Art«, erwiderte Alpha, und da hatte sie wahrscheinlich recht.
    Ich wartete, ob sie vielleicht noch mehr sagen oder mich wenigstens kurz ansehen würde. Aber sie starrte nur mit düsterer Miene auf ihre Zehen und die Bäume darunter.
    Langsam stieg die Sonne höher. Ich drehte mich nach Westen, wo die Welt noch im dunklen Schatten lag. Doch dann erstarrte ich. Denn aus den letzten Ausläufern der Nacht kroch das größte Gefährt hervor, das ich je gesehen hatte.
    Es war wie eine Stadt auf Rädern. Und es näherte sich Old Orleans auf Reifen, die so dick waren, dass es wohl bei jeder Geschwindigkeit so aussehen musste, als würden sie nur gemächlich voranrollen.
    »Was zum Teufel ist

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