Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
Nacht trifft ein schwerer Brecher die Platte. Sie schwankt einmal auf und ab, dann bricht sie. Der Eisriss rennt durch den Zeltboden, reißt das Zelt aus der Verpflockung und ist in Sekunden ein meterbreit gähnender Spalt voller schwarz darin schwappendem Wasser.
    Jeder, der es geschafft hat, sich mit dem Schlafsack in Sicherheit zu robben, brüllt: »Spalt! Zu Hilfe! Spalt in Zelt vier!«
    Wild und Worsley kommen herbeigestürzt. Sie wollen durchzählen lassen. Doch der Tumult ist zu groß. Und Shackleton wartet nicht, bis er sich gelegt hat. Er schreitet die Bruchkante ab und leuchtet ins Wasser.
    Â»Die Zeltplane! Zieht sie weg, damit ich sehen kann!«
    Drei Mann zerren die Plane aufs Eis.
    Wild schreit: »26! Zwei fehlen!«
    Im selben Moment fällt der Lichtkegel, der über die Wellenkämme gleitet, auf die Umrisse eines Mannes.
    Holie. Es ist Holness, der dort schwimmt. Mit dem Arm, den er aus dem Schlafsack hat befreien können, schlägt er um sich. Shackleton stürzt auf die Knie. Die Lampe fällt ins Wasser. Er packt den Schlafsack und wuchtet Holness mit einem einzigen Ruck aufs Eis.
    Nochmaliges Durchzählen ergibt, dass sich Wild in der Aufregung vertan hat. Mit dem geretteten Holie sind wir vollzählig. Und wir hätten wohl keine Chance gehabt, einen weiteren Vermissten zu bergen. Denn kaum dass wir uns in Sicherheit gebracht haben, krachen die beiden Schollenteile wieder aneinander. Im Lampenschein ein Streifen Gischtdunst, mehr bleibt von dem Spalt nicht übrig.
    Ich fasse mit an und trage Holie in seinem vollgesogenen Eiswassersack durch den Sprühschleier.
    Â»Wisst ihr was?«, sagt er. »Grade wollt ich mir eine Zigarette drehen. Jetzt ist mein ganzer Tabak futsch.«
    Seine großen, blanken Augen sind rot unterlaufen, und lauter nasse Strähnen hängen ihm wirr über den Schädel.
    Aber er kann schon wieder lachen. Denn Hussey meint: »Gute Gelegenheit, das Gequalme sein zu lassen.«
    Um die Last der Boote zu verringern, trennen wir uns schweren Herzens von einer Reihe von Sachen, die wir an Land sicherlich gut gebrauchen könnten: Hacken, Schaufeln, Lattenbretter und drei Kisten Trockenobst bleiben auf der Scholle zurück. Dafür, dass keiner die Dörrpflaumen und Datteln hat vertragen können, haben wir das Zeug weit mit uns herumgeschleppt.
    Es weht ein kräftiger Ostwind, der sogar noch auffrischt. Der Sir gibt Anweisung, die Riemen einzuziehen und Segel zu setzen. McNeishs wochenlange Schufterei, um die drei Nussschalen mit Masten zu versehen, macht sich bezahlt, und alle sind wir dem Zimmermann dankbar, nicht auch den zweiten Tag hindurch pullen zu müssen.
    Mit dem Wind rollen schwere Seen heran. Die Wogen brechen sich an den Schollenkanten, und die zurückgischtende Brandung gefriert noch im Fallen und hagelt auf unsere schlingernden Boote. Alles überzieht sich mit Eis. Ich kann zusehen, wie Creans nachtblauer Mantel allmählich weiß wird und erstarrt, und bei jeder kleinsten Bewegung, mit der er das Ruder korrigiert, höre ich Tom Creans Mantel knacken und krachen.
    Während die Landmasse im Westen in Nebel und Dunkel verschwindet, flüchten wir uns in der zweiten Nacht vor Eisbergen und Orcas auf eine Scholle, die über einen großen, eisfreien See treibt. Ausgenommen Holness, dessen Beine und Füße Zeichen von Erfrierungen zeigen, hat jeder einmal 20 Minuten lang Wache zu schieben. So können wir alle ein paar Stunden schlafen und blicken am Morgen immerhin ausgeruht auf das Schauspiel, das der trübe neue Tag für uns bereithält.
    Wir sind am äußersten nördlichen Ende des Weddellmeeres angelangt. Getrieben von der schnellen Südströmung und zurückgeworfen von der kräftigen Dünung der offenen See im Norden, wirbelt das Eis in Trümmern und Brocken um unsere Scholle und trägt sie schaukelnd und schwankend mit sich fort. So weit das Auge reicht bedeckt die Meeresoberfläche eine auf und ab wogende und unter tosendem Lärm aneinander schrammende Treibeismasse, die in weiten Kreisen nach und nach hinausgeschwemmt wird in die Weiten von Pazifik und Atlantik. Endlose Eisströme, von Antarktikas Gletschern und Schelfebenen ins Weddellmeer geschoben und nach Norden gedriftet, treffen auf die schnellen warmen Ströme der Drake-Passage, und all das Eis, dem eben noch nichts auf der Welt etwas anhaben konnte, zerstößt, zerreibt und zernagt

Weitere Kostenlose Bücher