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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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kann.
    Wild will den Handschuh nicht.
    Â»Nehmen Sie ihn, Frank!«, rufen gleich mehrere.
    Und Shackleton: »Nimm, Frank, oder willst du die Hand verlieren?«
    Â»Ich werde ihn nicht nehmen«, sagt Wild. »Ich habe meinen verloren, und dafür, dass ich zu dumm bin, soll jetzt einer von euch aufkommen? Kommt gar nicht infrage. Du behältst deinen Handschuh, Ernest, und ich gehe zurück ans Ruder. Es geht mir gut.« Wild will aufstehen.
    Shackleton hält ihn an der Schulter nieder. »Geh meinetwegen ans Ruder zurück. Aber du gehst nicht ohne diesen Handschuh. Such’s dir aus: Entweder du ziehst ihn an, oder ich werfe ihn ins Meer.«
    Mondlicht liegt auf den Wellen, die unsere zwei Boote durchpflügen. Zwischen Nebelbänken und Schneeschauern ist es so hell, dass ich in den schwarzen Klippen, an denen wir vorbeirauschen, einzelne Felsen erkenne. Ich presse das Gesicht über die Reling hinaus in den Wind. Nebelfetzen schlagen mir entgegen. Die JAMES CAIRD befindet sich in halsbrecherischer Fahrt, und sie zerrt unser Dingi mit sich an der Leine immer dichter an die Insel heran. Bläulich schwarze Steinmassen reichen in spitzen Keilen bis in die Brandung. Ich beuge mich hinaus und suche vergebens ihre Gipfel. Dunkle, schmale, zerrissene Täler und Grotten tauchen auf, öffnen sich und sind im Dunkel hinter uns wieder verschwunden, Gletscherbäche und Wasserfälle, weiß stäubend und lautlos, so nah, dass ich den Hauch ihrer Kühle auf dem Gesicht zu spüren vermeine. Dabei weiß ich doch, dass die Salzgischt der See jedes Lüftchen, das von Land kommt, auf der Stelle schluckt.
    Ein paar Stunden lang schießen wir so an der Nordküste der Elefanten-Insel hinauf durch die Nacht. Frank Wild sitzt wieder am Ruder der CAIRD . Am Ruder der STANCOMB WILLS sitzt immer noch Tom Crean. Er summt. Seine Zunge muss ebenso geschwollen sein wie meine, und die Sturzseen überschütten ihn genauso wie mich. Das Salz zerfrisst uns die letzte Haut im Gesicht, und dick und schwarz, wie Pferdeschnecken im nassen Gras, sind unsere Lippen. Crean summt. Er ist der Held meines Bruders. So wie Tom Crean, sagt Dafydd, musst du dir Setanta vorstellen, den keltischen Achill, der einen Ball schlug und damit den Hund des Culain tötete und der aus Verzweiflung darüber Culain anbot, fortan sein Hund zu sein. Cuchulain, der Hund des Culain, wurde der größte Held und nahm es in einem fairen Kampf sogar mit den Rittern der Tafelrunde auf. Nur, sagt Dafydd, ein fairer Kampf ist natürlich für einen Engländer etwas viel verlangt.
    Crean ist es auch, der Worsleys Boot entdeckt. Er packt mich bei der Schulter und zeigt mir die Position. Im Gischtdunst und Nebel vor der Steilwand kaum auszumachen, geistert ein dürrer Lichtstreif über die Wellenkronen zu uns herüber.
    Â»Der Skipper!«, krächzt Crean. »An den Bug! Gehen Sie es melden, Merce. Aber holen Sie sich fest, verstanden? Nicken Sie, wenn Sie mich verstanden haben!«
    Ich nicke. Das Sicherungstau um die Brust geknotet, lasse ich mich auf den Bootsboden nieder und robbe unter den Ruderbänken hindurch bugwärts. Als ich dort auftauche, reißt mir der Wind die Kapuze vom Kopf. Ich bekomme kaum Luft. Doch im Heck der CAIRD , so als hielte er das Schlepptau, an dem wir hängen, eigenhändig fest, sehe ich in Rufweite die Umrisse von Frank Wild. Dicht über seinem Kopf schlägt der Wind den Baum mit dem geblähten Segel hin und her.
    Ich weiß, ich habe nur Kraft für einen einzigen Ruf.
    Was rufen? Ich muss zugleich auf mich und das wiedergefundene Boot aufmerksam machen; backbord von uns segelt es einen knappen Seekilometer entfernt vor einer tiefgrauen Gletscherwand, es hält Kurs auf eine Nebelbank, die es wieder verschlucken wird, ehe es irgendeiner von Shackletons Männern in der CAIRD entdecken kann.
    Ich zerre mir den Handschuh von der Linken und brülle, so laut ich nur kann: »Heiho!«
    Und im selben Moment, da Frank Wild an der Ruderpinne herumfährt und die Augen aufreißt, recke ich den nackten Arm über die Reling des Dingis und zeige an: Backbord, halt Ausguck!
    In der ruhigeren Brandung vor einem flach auslaufenden Eishang kommt die DUDLEY DOCKER längsseits. Ihr Segel ist notdürftig geflickt, das Boot leckgeschlagen. Worsleys Männer sind seit Stunden pausenlos am Wasserschöpfen. Nur Greenstreet und Orde-Lees sitzen reglos einander zugewandt

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