Der eiskalte Himmel - Roman
Weil wir sie nicht mehr brauchen.«
Erst als es wieder still ist, vielleicht weil wir alle zusehen, wie die Sonne zu einer Sichel auf der Meeresoberfläche zerschmilzt, erst da greift Orde-Lees an. So plötzlich fährt er auf Hurley los, dass der sich duckt und abwehrend einen Arm hebt.
»Es hat durchaus seine Gründe, wenn ich meine, Sie auf etwas aufmerksam machen zu müssen, Mister Hurley!«, schreit Orde-Lees und hebt sich auf die langen Beine. »Ich verbitte mir künftig eine derartige Insubordination, wenn es recht ist. Sie sind der Bordfotograf, halten Sie sich Ihrem Berufsstand gemäà entweder im Hintergrund oder, falls Ihr Geltungsdrang dies nicht zulässt, reiÃen Sie das Maul gefälligst dort auf, wo Sie unter Ihresgleichen sind!«
Bereit, Hurleys Widerspruch auf der Stelle niederzubrüllen, hat Orde-Lees den Mund selbst weit aufgerissen. Er ist derjenige, der die meisten Zähne verloren hat, Eckzähne und Schneidezähne hat er fast keine mehr. Dagegen hat sich der Prinz vergleichsweise gut gehalten. Von den Frostbeulen ist sein Gesicht nur leicht aufgedunsen, und auf der Schädelseite, die er mir zuwendet, sind ihm alle Haare ausgefallen.
Hurley hat nicht die Kraft, Orde-Lees Paroli zu bieten. Er schweigt, und er schlieÃt im Schoà die Kamera in seine steifen Hände.
Aus dem Dunkel am Ufer lösen sich die Umrisse von Shackleton und Wild; sie haben den plötzlichen Lärm bei den Zelten gehört und kommen herauf zu uns. Alle stehen auf. Einige, zu meiner Verwunderung auch Vincent, machen, dass sie aus der Schusslinie kommen.
»Ãrger, Alfred?«, wendet sich Shackleton an Cheetham, als Wild und er vor unserer dunklen Traube stehen bleiben.
»Nicht der Rede wert. Es gab ein Missverständnis, aber das ist, soweit ich sehe, ausgeräumt.«
»Ist dem so, Mister Orde-Lees?«
»Sir, das müssen Sie Hurley fragen, Sir.«
»Ich frage Sie beide. Wäre Ihnen das recht?«
Auf der Elefanten-Insel können wir nicht überleben. Bob Clark gelingt es zwar, Shackleton davon zu überzeugen, dass es an anderer Stelle einen besseren Lagerplatz geben müsse, einen, von dem aus Pinguine und See-Elefanten zu jagen möglich ist. Der Ausblick auf ein Ende des Hungerns ändert jedoch nichts an unserer Ohnmacht gegenüber den Sturmwinden, die am Tag nach unserer Landung einsetzen und über die Insel ziehen. Hussey kann die Windstärke nur schätzen. Er schätzt sie auf gröÃer als 12, was meteorologisch gesehen gar nicht möglich ist. Uzbird gesteht, dass er von derartigen Böen noch nicht gehört hat. Das Hauptzelt wird in Stücke gerissen und weht über Bucht und Riffbogen aufs Meer hinaus, wo wir es wie einen groÃen Vogel verschwinden sehen. Eisplatten, so groà wie die Bände der Enzyklopädie, segeln quer über den Strand und zerplatzen an den Klippenwänden. Töpfe, Pfannen und ein Rost verschwinden aus Greens Felsnischenküche und fliegen Stunden später wieder vorbei, als hätten sie eine Runde um die Insel gedreht. Auch Mister Green selbst wird umgeweht und fortgewälzt, unter Rütteln und Zerren trägt ihn der Wind zur Bucht hinunter und will seine Beute schon ins Wasser schleudern, da sind Crean, Vincent und Bakewell zur Stelle und stemmen sich mit vereinten Kräften gegen den Raub unseres Kochs. Wir ziehen die Zelte zurück bis dicht an die Felsen. Die groÃen Boote werden gekippt. Fortan dienen sie den Männern aus dem zerstörten Hauptzelt als Behausung. Wir haben alle den Trost der Wärme nötig, doch diese acht verdienen ihn besonders. Stechend feiner Schnee dringt durch die Ritzen zwischen Kies und Booten, hüllt die Männer und ihre Habseligkeiten ein und stellt den tauben FüÃen immer neue Fallen.
Obwohl Frank Wilds Hand alles andere als verheilt ist, erhält er von Shackleton den Auftrag, gemeinsam mit vier weiteren Männern an Bord der STANCOMB WILLS auf Erkundungsfahrt Richtung Westen zu fahren, sobald der Blizzard nachlässt. Shackleton teilt ihm als Begleiter Crean, Marston, Vincent und Bakewell zu. Wild nimmt den Auftrag entgegen wie eine Bestrafung, eine Reaktion, die mir auch dann rätselhaft bleibt, als er zu Shackleton sagt, er habe gehofft, noch ein paar Tage ausruhen zu können, damit die Hand rechtzeitig wieder in Ordnung komme.
Rechtzeitig für was? Im Heulen des Sturms geht mir diese Frage nicht mehr aus
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