Der eiskalte Himmel - Roman
Gefühl, wir sind nicht allein. Als wäre da ein vierter mit uns unterwegs. Tom geht es genauso, stimmtâs, Tom? Ihnen nicht, Merce?«
Jetzt, da er es sagt, sehe ich keinen Grund, es länger zu verschweigen.
»Scott, Sir.«
»Ja, Scott vielleicht. Frank Wild wäre mir lieber!« Er lacht. »Hoffen wir, dass es in Wahrheit derjenige ist, dessen Name dieselben Initialen hat wie die JAMES CAIRD . Sie sind so weit? Dann bitte ich, die Plätze einzunehmen, Gentlemen. Gott sei mit uns. Auf mein Kommando. Bei drei. Eins, zwei â¦!«
7
Gespenster
S chneller und schneller geht es durch den Nebel den überfrorenen Hang hinab, wir klammern uns aneinander, ich habe die Arme um Shackletons Brust geschlungen, und auf meiner Schulter spüre ich Creans Schädel. Das Eis, über das wir auf unseren Tellern und Seilen dahinrasen, spritzt in die Höhe, krachend und rauschend, das aufspritzende Eis bedeckt uns von oben bis unten mit winzigen glitzernden Splittern. Shackleton ist der erste, der gegen den Lärm und das Tempo anzuschreien beginnt. Zuerst brüllt er bloÃ, so als würde die andrängende Luft durch ihn hindurchfahren, ich spüre, wie sein Brustkorb sich weitet, wie er sich zusammenzieht und wieder aufbläst. Dann aber entfährt ihm ein lautes, freudiges Johlen, das sich immer wieder in Gelächter entlädt und nur noch verstummt, wenn wir über Schanzen aus Eisbuckeln fliegen und er in meinen Armen den Atem anhält. Die Wellen, die ihn durchlaufen, gehen auf mich über, sein Lachen reiÃt mich mit, und eine Zeit lang, scheint mir, frage ich mich, warum ich nicht selbst lache, warum ich zu nichts anderem in der Lage bin, als mich an ihn zu klammern, da höre ich mich lachen, weià nicht, wie lang ich schon lache, und wünsche plötzlich, diese Fahrt durch die krachend aufwirbelnden Eiskristalle würde nie mehr aufhören.
Crean singt. Er singt mir genau ins Ohr, und ich erkenne die Melodie, es ist jene, die er seit Monaten summt, endlich aber glaube ich jedes Wort zu verstehen:
»Aus den Wellen, aus den Wogen
halb geschwommen, halb geflogen,
lange vorher und noch lang danach
spricht das Pferd von UÃbh Ráthach.«
So klingt für mich, was Tom Crean singt. Er schmettert mir die Verse ins Ohr, so laut, dass vor mir kauernd auch Shackleton sie hören muss, denn während wir immer schneller werden und immer tiefer in den Nebel fahren, singt er mit in seinem viel gestelzteren Gälisch:
»In der Nähe und der Ferne
keine Seele, keine Sterne,
nichts, das länger währt
als ich Ururwasserpferd!«
Wir schieÃen hinab, drei keltische Gerippe, zwei trällernde Iren und ich, der Waliser, der nicht merkt, wenn er lacht.
Immerhin merke ich, dass der Eishang allmählich flacher wird. Auf der kaum noch abschüssigen Ebene verlieren wir rasch an Tempo.
Noch singen sie:
»All ihr Vögel, Bäume, Leute,
lebt und lebt, lebt immer heute!«
Und im selben Moment, als wir in eine Schneewehe rauschen, die uns bremst und schlieÃlich zum Stehen bringt, vergeht mir das Lachen und stimme ich ein in Creans letzten Vers:
»Lebt nicht vorher, nicht danach!
Reitet nicht nach UÃbh Ráthach.«
Wir steigen von unseren Tellern, stehen auf mit wackelnden Knien und fallen uns zugleich kichernd und schluchzend in die Arme. Weit oben ragt die Kammlinie, über die wir noch vor ein paar Minuten geklettert sind, aus dem Nebel. Mit einem Mal fällt mir das Pony meines Vaters ein, unser altes Pony Alfonso, an das ich seit Jahren nicht mehr dachte. Ich sehe sein groÃes trauriges Auge vor mir. Crean nimmt mich in den Arm, lacht und hört nicht auf, meinen Rücken zu klopfen, bis ich aufhöre zu weinen.
»Das kommt nur«, schluchze ich, »nur von diesem Lied, von nichts anderem, kapiert?«
Nach einer Mahlzeit im Stehen aus Schlittenration und Zwieback verstauen wir Essgeschirr und Seile und machen uns wieder auf den Weg. Von Minute zu Minute wird die Müdigkeit gröÃer, wir dürfen keine Zeit verlieren. Das tief ins Inselinnere verlaufende Schneefeld, das uns von den Bergkämmen aus vollkommen eben erschien, ist in Wirklichkeit ein sacht, jedoch beständig ansteigender Hang. Je weiter wir darauf durch die Vollmondnacht ostwärts marschieren, umso höher gelangen wir und umso kälter wird es. Kurz nach Mitternacht sind wir fünf Stunden lang ohne Pause durch den verharschten Schnee
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