Der eiskalte Himmel - Roman
Zahlen sind meine Zeugen, »20 mal 40. Macht 800 Dosen Milch. Hast du was zu schreiben?«
»Schreib duâs in deine Bücher.« Er kommt hereingekeucht und macht sich, obwohl noch genug anderes Zeug dasteht, über meine Milch her. Ich sehe richtig: Er zählt noch einmal die Kondensmilch.
Aber gut. Ich liebe ihn. Er hat einen Bonus, keinen unbegrenzten, aber einen Bonus. AuÃerdem ist er stärker. Wenn Bakewell will, schlägt er einen Nagel mit dem Ellbogen ein. Ich warte, ob es ihm leidtut. Er kniet am Boden und tippt mit den Fingern die Paletten ab. Von sich aus wird er nie etwas sagen.
Also sage ich ihm aufs Gesicht zu, dass es ihm überhaupt nicht um die Bücher geht, wenn er hier einen derartigen Tanz aufführt. Abgesehen von ein paar Armleuchtern an Bord ist er der Einzige, der mich in den ganzen Tagen, seitdem ich aus dem Spind drauÃen bin, nicht gefragt hat, wie es denn kommt, dass der Chef so einen Narren an mir gefressen hat. Und ich weià auch, sage ich zu ihm, warum das so ist. Weil er neidisch ist. Weil er sich nämlich anfressen lässt von einer popeligen und ganz üblen Missgunst. Von so manchem an Bord habe ich das erwartet, von ihm im Leben nicht.
Bakewell richtet sich auf und sagt: »Stimmt. 800.« Damit wendet er sich dem nächsten Palettenstapel zu.
Ich überlege schon, ob ich ihm auf den Rücken springen und in die Schulter beiÃen soll wie früher Dafydd, den ich so immer untergekriegt habe, da sagt er, mehr zu den Dosen vor seinem Gesicht als zu mir: »Ich frage mich bloÃ, was aus dir werden soll, Merce. WeiÃt du, von mir aus kannst du Shackletons Schuhe putzen. Füttere und wasche ihn, und dann liest du ihm noch eine Gutenachtgeschichte vor. Kannst du meinetwegen alles machen. Und warum du dich hier krümmst, warum du ihm seine Bücher sortierst und wie du es fertig bringst, dass er auÃer den Obereisheiligen ausgerechnet dich mitnimmt zum Souper mit Jacobsen und seiner Lady, ich finde, das geht mich nichts an, das ist ganz allein deine Sache, Herr Chefsteward.« Er schiebt einen Zeigefinger langsam zwischen unsere Nasen und sagt leise: »Aber lass dir eines gesagt sein. Niemand auf diesem Schiff kennt dich so gut wie ich. Keiner von denen weiÃ, dass du meistens ganz in Ordnung bist. Denk mal drüber nach: Woher sollen die Brüder wissen, dass du nicht immer so bist?«
Die Russen schippen wieder. Wenn sie ihre Karren an Bord rollen, hört man die Laufplanke gegen das Schanzkleid knallen, und bei jeder Schaufel Kohle läuft ein feines Zittern durch das Schiff.
»Von wem redest du denn?«, frage ich. »Und wie bin ich denn?«
»Ich werde einen Teufel tun und hier jemanden anschwärzen«, sagt er sofort. »Dass du es von alleine nicht merkst, wen du dir zum Feind machst, müsste dir eigentlich Warnung genug sein, findest du nicht? Mit solchen Typen ist nicht zu spaÃen. Erinner dich an Rutherford. Die haben eine ganz feine Grenze, setz da den Fuà drüber, und sie holen ihre Harpyie aus dem Sack.« Er dreht mir den Rücken zu. Und indem er sich hinhockt, um weiterzuzählen: »Wie du bist? Willst du es wissen?«
»Sag es.«
»Kriecherisch.«
Eigentlich war ich zu dem Entschluss gekommen, keinen Brief nach Haus zu schreiben. Doch als ich mit zugeschnürter Kehle hinaufsteige in den Lärm und die von Staub erfüllte Luft an Deck, sehne ich mich danach, mich bei jemandem ausheulen zu können, bei dem ich weiÃ, woran ich bin. Furcht erregende Gestalten, diese zehn, zwölf russischen Walfänger, die, einer schwärzer als der andere, die letzten freien Meter zwischen den Hundezwingern, verzurrten Beibooten und Motorschlittenkisten voll Kohle schaufeln, seltsame Brüder, die ein strahlend gelbes Lächeln übrig haben, als ich vorbeischlüpfe und im selben Moment Shackletons Tür hinter mir schlieÃe, als ein Rütteln durchs Schiff geht, weil Holness tief unten im Bauch die Kessel unter groÃes Feuer bringt.
»Liebe Mom, lieber Dad und liebe Regyn, ich weiÃ, es ist furchtbar, aber ich muss euch leider mitteilen â¦Â« Noch bliebe genug Zeit, um sich an Shackletons Pult zu setzen und alles, alles zu erklären.
Nein. Und auch wenn die Vorstellung verlockend ist, mich dazu bei Shackletons Briefpapier zu bedienen, werde ich keinen Brief schreiben. Aus dreierlei Gründen: Erstens wäre es grundfalsch, Mom, Dad und Regyn
Weitere Kostenlose Bücher