Der eiskalte Himmel - Roman
steht, und auch ein Selbstporträt ist darunter: »Der erfindungsreiche Marston bei der Lektüre« liegt lesend in der Koje, auf seiner Schläfe eine brennende Kerze im Halter aus Porzellan.
Damit bin ich einmal durch. Der Rest ist ein Klacks. Ich werfe noch einen Blick in die leeren Kisten und merke plötzlich, dass es ganz still ist. Kein Russe lacht, kein Bakewell flucht, und ich höre, als ich im Kajütgang stehe, keinen Skipper hinter seiner Tür auf und ab stiefeln. In Shackletons Kajüte türmt sich mein Werk: vier Stapel, die nach nichts aussehen, aber eine Heidenarbeit waren. Auch ich habe mir eine Pause verdient. Mit dem Schlüssel des Sirs schlieÃe ich ab. Und bin noch nicht an Deck, da fällt mir ein, was ich vergessen habe: Wo zum Teufel steckt die Bibel der Königinmutter?
7
Skipperliebling
D er Anblick, der mich im Ritz erwartet, wäre unter Scotts Kommando nicht möglich gewesen. Scott legte Wert darauf, dass Bordoffiziere und Rest der Mannschaft voneinander getrennte Quartiere hatten und dass Stab und »Zivilisten« nicht gemeinsam, sondern nacheinander aÃen.
Anders als sein früherer Dritter Offizier Shackleton, der von der Handelsmarine kommt, hatte sich Scott bei der Navy emporgedient. Bei aller GroÃherzigkeit, mit der er zum Beispiel über den kleinen Birdie Bowers schrieb, es habe wohl nie zuvor einen so mutigen, tatkräftigen und unbezwingbaren Menschen gegeben, lautete seine Devise Disziplin. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit dem groÃen Scott wirklich warm geworden wäre. Im Ritz sitzen bei Kartoffelbrei und Schnitzeln, die eigentlich ja ich habe aufwärmen sollen, mein verschlafener Kapitän, mein Massageheizer und mein liebster Freund, und neben den Tellern von Worsley, Holness und Bakewell wartet ein einladender leerer auf den Schiffsjungen, auf mich.
Natürlich können sie nicht anders und ziehen mich damit auf, dass ich es binnen weniger Wochen aus dem Ãlzeugspind bis in Shackletons Kajüte geschafft hätte. Aber sie höhnen nicht wirklich. Ich merke, dass Bakewell die Sache sogar ziemlich ernst nimmt, denn ein paarmal guckt er mich komisch an, prüfend, so als würde ich unter dem allgemeinen Gefeixe etwas Wichtiges nicht mitbekommen.
Bevor sich der Skipper wieder in seine Kajüte zurückzieht, um, wie er sagt, Neuseeland Briefe zu schreiben, legt er den Verlauf des restlichen Tages fest. Sobald der übernommene Proviant durchgezählt und die übrige Kohle gebunkert ist, werden wir ablegen und langsam die Bucht hinuntertuckern nach Stromness, den Sir und die anderen abholen.
»Die Proviantüberprüfung übernimmt Mister Bakewell. Holie, Sie gehen zurück an die Kessel.«
»Aye, Sir.«
»Und Sie zu Ihrem Spezialauftrag, nehme ich an«, sagt Worsley nicht ohne Grimasse zu mir.
Ich antworte ihm, dass ich so gut wie fertig sei, und bitte um die Erlaubnis, Bakewell helfen zu dürfen. Er hat nichts dagegen.
Zu dritt steigen wir ins Unterdeck. Holness begleitet uns bis zu den Proviantgatten, dann geht er allein weiter durch den schwach von gelbem Licht erhellten Gang, der achtern zum Abstieg in den Kesselraum führt. Blass sieht er aus, für einen Kohleschlepp eine ziemliche Leistung, und er ist schmal geworden, ein dürrer Hering. Mehr mit seinen groÃen blanken Augen sagt er »Tschüss« und stakst davon.
Zum ersten Mal seit Buenos Aires sind Bakewell und ich allein. Ich sehe sofort, dass er meinem Blick ausweicht. Aber ich lasse mir nichts anmerken. Der Auftrag ist seiner, ich lasse ihm den Vortritt und warte, welche Arbeit er mir zuteilt.
Wir nehmen uns zunächst das Gemüse vor. Er wuchtet die erste Kartoffelkiste von den Stapeln, gräbt eine Hand bis auf den Boden, ruckelt die Kiste beiseite und greift sich die nächste. Er ist wütend. Aber er sagt kein Wort. Er wäre nicht Bakewell, würde er ausspucken, was mit ihm los ist. Und weil ich, zumindest was ihn anbelangt, mir nichts habe zuschulden kommen lassen, sage auch ich nichts, sondern lasse ihn mit seinen russischen Kartoffeln allein und schlendere schon mal rüber ins Konservengatt, die Milchdosen zählen.
Natürlich macht er sie alle, alle 41 Kisten, so ist das, wenn eine vergrätzte Teerjacke einen Stock verschluckt hat. Und selbst schuld, dass ihm der Schweià nur so runterläuft, als er in der Kabufftür steht.
»20 Paletten«, sage ich unschuldig, die
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