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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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zurückgreifen zu müssen.
    90 Tage … Anfang Juli werden wir schon monatelang im Dunkel gelebt haben.
    Draußen auf dem Eis haben sich inzwischen zwei Gruppen gebildet. Während die Hälfte der Männer die Hundegespanne auf Abstand hält und die Tiere, so gut es geht, daran hindert, sich gegenseitig an die Kehle zu gehen, wartet auf die anderen der schwierigste Teil der Arbeit, nämlich die Bergung der Robbenkadaver, von denen manche mehr als 500 Pfund wiegen. Die Dämmerung hat eingesetzt, deshalb kann ich nicht sehen, wie sich Wild, Crean und McIlroy, der seine chirurgischen Kenntnisse anwendet, über das tote Tier beugen. Aber ich weiß, denn ich habe es zigmal mit angesehen, dass jeder ihrer Handgriffe sitzt, damit es nur schnell geht: Solange die Robbe noch warm ist, bekommen die, die sie häuten und zerlegen, keine Frostbeulen an den Händen.
    Schließlich ist das Erste, was ich in der sich eingrauenden Weite auftauchen sehe, weder ein Schlitten noch Frank Wild auf seinen Skiern. Tante Thomas kommt geradelt, ruhig und gemächlich, wie an einem warmen Winterabend Reverend Hackett von einem selig Entschlafenen nach Pillgwenlly heimkehrt.
    Â»Fahr nicht gegen den Baum!«
    Worsley klebt auf halbem Weg zum Deck an den Wanten und trötet in seine Flüstertüte. Und Orde-Lees tippt sich an die Kapuze und winkt.
    Kurz darauf lehnt das Fahrrad an Greens Kühlkiste. Orde-Lees ist fast überall mit einer weißen Schicht bedeckt, und Hunderte winziger Eiszapfen hängen an Schneebrille und Mützenrand.
    Â»Gut zum Nachdenken, so ein Veloziped.« Er spricht sehr langsam und ist heiser; denn da das Gebell der Hunde jedes Geräusch übertönt, wird auf dem Eis aus voller Kehle gebrüllt.
    Â»Es ist mir wieder eingefallen: Das allermerkwürdigste Ding, das je im Eis war, das war der Ballon, mit dem Scott über der Ross-Insel schwebte. Hast du davon nicht gelesen, Blackboro?«
    Ich habe es nicht, und ich glaube es ihm auch nicht.
    Â»Hieß EVA , soweit ich mich erinnere. Scott flog den Ballon einmal und nie wieder, denn danach war das Ventil kaputt. Mehrere hundert Meter hoch ist er angeblich gestiegen. Wahrscheinlich konnte Scott vor lauter Begeisterung gar nicht mehr aufhören, Sandsäcke abzuwerfen.«
    Er kichert, dass die Eiszapfen in seinem Kinnbart klingeln.
    Â»Und wusstest du übrigens, dass Wilbur und Orville Wright vor dem FLYER Fahrräder gebaut haben?«
    Â»Ã„äähh«, macht Green, »geht mir weg mit euren Geschichten.«

3
Das Gewicht des Lebens spüren
    A usgerechnet an einem Sonntag, an dem es in dichten Flocken schneit, sehen wir zum letzten Mal die Sonne. Eine Zeit lang hält sich noch ein dunstiges, täuschendes Zwielicht, in dem man die starren Umrisse des Schiffs vorm Horizont ausmachen kann. Aber Entfernungen abzuschätzen ist jetzt kaum noch möglich, und selbst das Eis vor den Schneeschuhen sieht man so verschwommen, dass der Spaziergang um den Pylonenweg gefährlich wird. Bobby Clark hat sich vorm Bug ein Loch ins Eis gedrillt und holt mit einem am Klüverbaum befestigten Ausleger allerlei Meeresgetier herauf. Er ist schon mehrfach in eine Senke gestürzt und über einen Eisgrat gestolpert, die er noch meterweit entfernt geglaubt hat. Seiner Sammlerwut tut das keinen Abbruch. In Dutzenden von Honiggläsern, die an einer Fußleiste entlang im Ritz stehen und im Licht der Tranlampen blau und grün funkeln, schwimmen die merkwürdigsten Tierchen und Pflanzen, Organismen, die nie einem Lichtschimmer ausgesetzt waren und schon immer in so vollkommener Dunkelheit lebten wie auch wir das müssten, hätten unsere Urururahnen nicht das künstliche Feuer erfunden.
    Wir weinen der Sonne nicht nach. Sie kommt ja wieder, zwar erst in einem halben Jahr, aber das macht nichts. Kann man eh nicht ändern. Dass er uns zur Not eine Sonne aus Holz zimmert, sagt McNeish, und für Alf Cheetham ist es Zeit, seinen monatlichen Witz loszuwerden. Im selben Moment, in dem das Eis das letzte Sonnenlicht schluckt, bestellt er bei McNeish eine Badehose, eine aus Kastanie.
    In der Runde, die sich eines Abends im Ritz versammelt, bin ich nicht der Einzige, dem auffällt, dass Shackleton nicht mehr so düster und traurig wirkt, seit das Schiff pünktlich zum Beginn der Polarnacht winterfest ist. Seine bessere Stimmung verbessert die Stimmung aller. Er weiß selbst am besten, welches

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