Der eiskalte Himmel - Roman
Spalt offen bleibt!«
Zurück aus der Kombüse, schenke ich ihm einen Becher Tee ein. Er lächelt, setzt sich auf und nimmt ihn.
»Ist nett von dir«, sagt er. »Aber bring jetzt mal Bakewell welchen. Der hat eine Aufwärmung viel nötiger.«
Also steige ich an Deck und stiefele nach vorn zur Brücke, deren Licht auf die Zwingerreihen und das Vorderdeck fällt, bevor es sich im Dunkel jenseits des Bugspriets verliert.
Irgendwo dort drauÃen in der Eiswüste knallt es, und man kann sicher sein, dass dort nichts ist, was lebt, atmet, wach ist oder schläft. Der Lärm kommt vom Clinch des Wassers mit dem Eis, und genauso kalt klingt er auch.
In dem kleinen Kommandoraum hängt die Ofenluft voller Schwaden von Bakewells Zigaretten.
»Und?« Aus der Pelzkapuze guckt mich sein Rumtreibergesicht an.
»Wild ist wach, sonst niemand. Mann, der ist fix und fertig.« Ich muss husten. »Aber glauben will erâs immer noch nicht.«
Wir lassen den Tag noch einmal vorbeiziehen. Ich warte, bis Bakie den Becher ausgetrunken hat, und gehe dann leise, um die anderen nicht zu wecken, hinunter zu meiner Bunk.
Aber ich kann nicht schlafen. Und Lust zu lesen habe ich auch noch. Also wieder raus, durchs Funzellicht des Mittschiffflurs zurück ins Ritz.
Da sitzt Frank Wild noch immer über seiner Karte.
»âºLog, Lot und Längeâ¹?«, fragt er, als ich vorbeischleiche zum Bullauge.
Das ist es, was dem Zwerg Boss das Leben so schwer macht: Er bekommt nicht wirklich mit, was ringsumher passiert, so beschäftigt ist er mit der Vorbeugung, Vermeidung und Beseitigung von Unglücken aller Art. Seit dem unrühmlichen Abbruch von Kommodore FitzRoys Navigationsfibel habe ich mich durch mehr als 1500 Seiten Entdeckerhistorie gegraben.
»So in etwa«, sage ich matt.
Ich lese die Logbücher von John Biscoe, jenes kühnsten von allen Robbenschlägern, über den selbst Weddell nur mit gröÃter Hochachtung schrieb. Von 1830 bis 1832 ist Biscoe mit seiner Brigg TULA und dem Trawler LIVELY im Südmeer unterwegs. Als Drittem nach Cook und Bellingshausen glückt ihm die Umsegelung der Antarktis. Biscoe ist der Erste, der in dem gen Feuerland ragenden Horn aus Inseln, Riffs und Felsen einen Teil des seit Jahrtausenden gesuchten Festlandes erkennt, die Antarktische Halbinsel. Fast seine gesamte Crew stirbt während der Reise an Skorbut oder siecht im kalten Bauch der TULA dahin, doch Biscoe, dem nur noch seine zwei Maate und ein Schiffsjunge zur Hand gehen, segelt weiter. Sein Schiff ist, schreibt er, »nur mehr eine Masse aus Eis«. Ãberzeugt, von Land abgebrochenes, überfrorenes Gestein vor sich zu haben, lässt Biscoe Eisberge unter Kanonenbeschuss nehmen, setzt ein Boot aus und sucht die von Wolken panischer Sturmvögel umflatterten Trümmer ab. Nach zweieinhalb Jahren kehrt er 1833 mit einer Ausbeute von ganzen 30 Robbenfellen nach London heim. Ich hätte Frank Wild gern vorgelesen, was John Biscoe am Ende seiner Reise schreibt: »Ich tat alles in meiner Macht Stehende, um die Leute an Bord bei guter Laune zu halten, und setzte oft ein Lächeln auf, obwohl es in mir ganz anders aussah.« Aber als ich aufblicke von dem vergilbten Geographical Journal , das seine 80 Jahre auf dem Buckel hat, ist er dort drüben am Tisch wohl doch endlich eingeschlummert.
2
Ein Fahrrad, ein Klavier und ein Ballon
A ls 1902 Otto Nordenskjölds ANTARCTIC vom Packeis zermalmt wurde, suchte die schwedische Geologenexpedition Zuflucht auf einem der nördlichsten Zipfel der antarktischen Halbinsel, auf dem winzigen Paulet-Eiland. Die Männer bauten eine Hütte, die noch immer stehen soll, und harrten monatelang auf dem nackten Fels aus, ehe sie gerettet werden konnten. Auf Robbensuche fanden sie eines Tages in den Kliffs ein Gaffeltopp, an dem Fetzen einer britischen Flagge hingen. Es war die Mastspitze von John Biscoes Begleittrawler LIVELY , der 70 Jahre zuvor in der Drake-Passage gesunken war. Die Drift des Weddellmeers hatte die Gaffel 5000 Kilometer weit im Kreis befördert, und niemand konnte sagen, ob nur einmal.
Auch Kapitän Scott machte einen solchen unglaublich scheinenden Zufallsfund. Beim Anlegen eines Depots für den Marsch zum Südpol stieà seine Mannschaft auf einem sich weithin erstreckenden Eisfeld in drei Meter Tiefe auf Metall und grub schlieÃlich einen Schlitten aus. Es war derselbe
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