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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Vorbild er für jeden von uns ist. Aber es verdenkt ihm auch keiner, wenn er mal Schwäche zeigt. Denn so wie sein Zorn beweist uns seine vergrübelte Wut, dass er mit aller Leidenschaft an unserer Lage Anteil nimmt und nicht bereit ist, sich der Verbitterung hinzugeben, zu der er neigt und zu der er allen Grund hätte.
    Für Tom Crean ist eine von Sir Ernest gefällte Entscheidung über jeden Zweifel erhaben. Crean sitzt nur zwei Plätze weiter, und ich würde ihm allein deswegen nicht widersprechen, weil dieses Profil, das ich sehe, jahrelang gerahmt im Zimmer meines Bruders hing. Und doch bin ich anderer Meinung und glaube, dass Shackletons Fähigkeit, uns alle bei der Stange zu halten, in Wirklichkeit auf einem tiefen Zweifel beruht. Es stimmt nicht, was er so gern von sich behauptet, dass er nämlich von einem gefassten Plan nicht abzulassen und ein einmal anvisisiertes Ziel nicht aufzugeben vermag.
    Ich glaube, er hat weder einen fixen Plan noch ein festes Ziel. Shackleton zweifelt. Er zweifelt von Anfang an, und er zweifelt noch, wenn er am Ziel ist. Crean, Cheetham, allen den Eisheiligen geht es um Entdeckung, Überwindung, Eroberung, Triumph. Shackleton geht es ums Glück. Er ist der Abenteurer, nicht ich. Ein kurzer, schweißtreibender Ringkampf mit sich selbst, schon ist ihm auch der Kummer willkommen. Widrigkeiten, wie Wild sie mit der quirligen Energie des von der Ordnung Besessenen zu vermeiden oder rückgängig zu machen Himmel und Hölle in Bewegung setzt, stacheln Sir Ernest nur zu noch größerer Begeisterung an, zu einer so überbordenden Zuversicht, dass er sie mit uns, die darüber bloß staunen können, teilen muss, und das zu seiner allergrößten Genugtuung. Hat er sie ausgekostet, meldet sich der Zweifel zurück.
    Nach dem üblichen Toast auf die Frauen, die Geliebten und darauf, dass sie einander nie begegnen mögen, den Worsley ausbringt, ergreift der Sir das Wort und bringt uns mit wenigen Sätzen in Verlegenheit. Er entschuldigt sich unumwunden für das Scheitern der Expedition. Und er räumt den Fehler ein, nach Erreichen der Caird-Küste nicht beigedreht zu haben und gelandet, sondern stattdessen weiter südwärts gesegelt zu sein.
    Â»In der Hoffnung, es noch besser zu treffen. Was für ein dummer Trugschluss! Ich wünschte, ich hätte an diesem Tag auf den Skipper und auf euch gehört, Frank, Tom, Alfred!«
    Er sieht jedem der vier fest in die Augen, und ich kann ermessen, was es für ihn bedeuten muss, das im selben Raum zu sagen, in dem an jenem Tag vor fünf Monaten der Eisrat tagte und er sich gegen die vier durchsetzte.
    Â»Es durchläuft mich heiß und kalt, wenn ich bedenke, dass wir alle jetzt in unserer Hütte sitzen, die Forscher ihre Studien und die anderen die Vorbereitungen für den Marsch vorantreiben könnten. Und ich mag mir gar nicht vorstellen, welche Strapazen McIntosh und seine Männer im Rossmeer auf sich genommen haben, um Depots für uns anzulegen, die wir vielleicht nie zu Gesicht bekommen werden. Euer aller Leistung kann ich gar nicht genug wertschätzen. Seid versichert, dass ich alles tun werde, um ausnahmslos jeden von euch heil nach Haus zu Frau und Kindern zu bringen. Oder zu seiner Geliebten.« Gelächter. »Ich danke euch. Bei aller Schmerzlichkeit ist es schön, diese Zeit gemeinsam mit euch zu verbringen. Ich möchte keines dieser Gesichter missen.«
    Â»Auf den Sir!«, ruft der treue Alf Cheetham und hebt sein Glas.
    Â»Auf Sir Ernest«, raunt es zurück, und mir steigen ein Kloß in den Hals und Tränen in die Augen.
    Shackleton steht auf. Die, die es ihm gleichtun wollen, bittet er, sitzen zu bleiben. Er steht allein. Der rückblickende Teil der Ansprache ist vorbei, es folgt der Blick nach vorn. Ich lehne mich zurück. Ob ich noch ein Glas Portwein …?
    Aber was er sagt, das saust auf mich nieder wie Greens Eisaxt und haut meine Gleichmut in Splitter. Er möchte, dass auch ich aufstehe.
    Und als ich zögere und fragend in eine Tafelrunde blicke, die mich angrient, möchte er, dass ich etwas über die Polarnacht erzähle. Hier und jetzt. Er setzt sich. Mir wird schwarz vor Augen.
    Â»Sir, die Polarnacht, ich kenne die Polarnacht nicht, ich habe noch keine erlebt«, stammele ich. »Und die, die grade anfängt, scheint mir … mir etwas zu kurz zu sein, als dass ich etwas darüber …

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