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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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worum es geht im Eis, das steht nicht in den Büchern. Das hat man hier drin, im Blut. Mein Großvater war 1839 im Südmeer und ist hier ersoffen, man weiß nicht, wo, nicht wann und vor allem nicht, wieso. Aber ich weiß, wovon ich rede, da brauch ich keine Bücher. Oho, 1839, hört, hört! So ein Schwachsinn! Mich kotzt der ganze Entdeckermist an.«
    Â»Deine Sache. Ach, Vincent, bevor ich’s vergesse: Bei der nächsten Wache den Tee bitte mit Keks. Geht das?«
    Nun aber schnell raus!
    Â»Nächste Wache!«, donnert er mir hinterher. »Da gibt’s dieses Schiff nicht mehr. Ja, los, hau schon ab, du Idiot!«
    Nein, Freunde werden wir im Leben nicht. Müssen wir da für immer Feinde bleiben? Warum nicht. Viel lernen kann man nicht vom Eis, aber das eine doch: Auch Feindschaft ist eine Form von Verbundenheit.

7
Das zitternde Wrack
    I n den ersten Oktobertagen durchschreitet der Zeiger die Neun-Uhr-Marke auf der antarktischen Uhr im Ritz. Draußen, auf dem Eis, können wir deutliche Anzeichen dafür ausmachen, dass es Frühling wird: Zunächst ergeben Bobby Clarks tägliche Wasserproben eine Zunahme an Plankton, dann sichtet Wordie einen ersten einsamen Kaiserpinguin. Er lockt den neugierigen Vogel aus dem kleinen eisfreien See, in dem er gemächlich dahinpaddelt, auf unsere Scholle. Dort tötet er ihn genauso mit dem Messer wie Wild ein paar Tage darauf die erste Krabbenfresserrobbe, die sich nah genug herantraut, um von Greens Abfällen zu kosten. Die Tiere sind zurück. Ein halbes Jahr lang waren sie auf den Südorkneys, Südgeorgien oder in Patagonien. Während wir im Finstern durch das Eis gekreiselt sind, Theater gespielt und unsere Hunde erschossen haben.
    Die Niedergeschlagenheit, die sich seit dem Juliblizzard an Bord breit gemacht hat, vertreiben diese ersten Wärmeboten nicht. Als wir die Hunde an Bord holen, sind nur noch 29 am Leben, mindestens ein Dutzend davon abgemagert bis auf die Knochen. Und eines frühen Morgens, als das Schiff ohne unser Zutun plötzlich freikommt und mitten auf dem Meer in einem Teich umgeben von Schollen schwimmt, gelingt es uns nicht, die Kessel hochzufahren, weil Eis in den Rohren ein Leck in die Wasserleitungen gesprengt hat. Stunden vergehen, bis wir alle gefrorenen Segel gesetzt haben. Und wir kommen 100 Meter voran, ehe die kaum merkliche Dünung wieder zu Brei gefriert und uns seelenruhig einschließt.
    Die Pressungen nehmen nicht ab, sondern sie werden mit dem größeren Spielraum der im Wasser driftenden Eistrümmer nur stärker. Der Sir, der Skipper und die Eisheiligen halten unbeirrt am Glauben fest, dass wir es dennoch schaffen werden, und sie lassen keine Gelegenheit aus, einem, der der Kopf hängen lässt, Mut zu machen. Doch selbst die Stursten und Widerspenstigsten unter uns, diejenigen, die immer einen eigenen Kopf haben, der frohgemute Hussey, der zähe Bakewell, Tante Thomas, Marston, sie alle schütteln jetzt nur den Kopf, wenn man sie nach den Chancen des Schiffes fragt, sie verdösen die Tage, gähnen sich durch die Wachen und schwanken zwischen Gleichgültigkeit und Aufgebenwollen. Bitter, aber es scheint so zu sein, dass, wenn alle um einen herum den Teufel an die Wand malen, es so gut wie unmöglich ist, allein für sich selbst weiter an eine günstige Wendung zu glauben.
    Wohin mit der eigenen Hoffnung, wenn keiner mehr davon hören will? Ich habe nie daran gezweifelt, dass die ENDURANCE heil dem Eis entrinnen wird, so lange nicht, bis mir Vincent in jener Nacht im Ritz verraten hat, welche Chance davonzukommen er unserem Schiff noch gibt: keine! Bei Bakewell, Holness oder How, bei Freunden oder Kameraden hätte ich das als Schwarzseherei abgetan. Bei Vincent aber kann ich mir sicher sein, dass er weiß, wann ein Feind übermächtig ist.
    Also hopp, Leute, hopphopp! Lasst alle Hoffnung fahren!
    Am 10. Oktober, Tag 259 im Eis, treffen zwei Schläge das Schiff und kündigen an, was uns bevorsteht. Der eine ist die erste Pressung, die den Rumpf unmittelbar angreift. Keine Scholle sitzt mehr als Puffer dazwischen, als binnen Sekunden ein Druckgrat den Bug mehrere Mann hoch in die Luft hebt und zugleich den am Heck umklammerten Rumpf unter Kreischen und Jaulen zusammenquetscht. Unter Deck hört man Pfosten und Spanten ächzen, bevor sie mit lautem Knall brechen. Sei es um ihn zu schützen oder um Schutz bei ihm zu suchen, hat

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