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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Greenstreet angewiesen hat, Kapitän Sørlles Ansichten zur Tauglichkeit der ENDURANCE unter der Mannschaft zu verbreiten.
    Mürrisch sehen die Männer ihn an. Das Funkeln in ihren Augen kommt nicht vom Licht, es ist Missmut. Unsere Gesichter sind schwarz vom Blubberruß, manche aufgedunsen von Frostbeulen, und wir zausen uns, während wir zuhören, die struppigen, verklebten Bärte.
    Shackleton spricht leise und bedächtig. Nur wenn das Eis dröhnt, erhebt er die Stimme. Es gebe niemanden, der das Schiff besser kenne als Sørlle, beginnt er, deshalb sei er auf Südgeorgien zu ihm gefahren.
    Â»Kapitän Sørlle ist in Sandefjord gewesen, als die POLARIS , unsere spätere ENDURANCE , gebaut wurde. Ursprünglich sollte sie im Nordmeer eingesetzt werden, im Brucheis vor Spitzbergen. Nun war die Frage, inwieweit die Eisverhältnisse im Nordmeer vergleichbar sind mit denen im Weddellmeer. Um es kurz zu machen: Wir waren uns einig, dass die ENDURANCE jedes Eis befahren kann, vorausgesetzt, sie bleibt manövrierfähig. Kapitän Sørlle war jedoch der Ansicht … nein, das stimmt nicht. In Wahrheit prophezeite mir Sørlle, dass die ENDURANCE im Packeis stecken bleiben und zermalmt werden würde.«
    Â»Woher will der das wissen?«, fragt der Zimmermann.
    Â»Tja, Sørlle meinte, weil sie nicht den abgerundeten Rumpf von Amundsens FRAM hat, der zwischen den Druckgraten auf und ab rollen kann. Der Kapitän sagte wörtlich – Tom, du warst dabei, verbessere mich, wenn ich mich irre –, er sagte, das Packeis würde uns in die Zange nehmen und zerquetschen, weil …«
    Alle Blicke wandern hinüber zu Crean. Er nimmt die Pfeife aus dem Mund, sieht müde in die Runde und sagt: »… weil das Eis das, was es mal hat, nicht wieder hergibt.«
    Â»Ich habe ihm nicht widersprochen. Ich war nur der Meinung, dass wir auf Packeis gar nicht treffen würden, und falls doch, dass wir es auf dem Weg zur Vahselbucht bequem würden umfahren können. Ich bin immer davon ausgegangen, dass wir einen durchschnittlichen antarktischen Sommer erleben würden, ich habe nie in Erwägung gezogen, dass es über Monate hinweg zwanzig Grad kälter sein könnte als üblich! Gentlemen«, sagt Shackleton, indem er die Hände hebt und beide Daumen auf sich richtet, »hier liegt mein Fehler. Ich muss neidlos anerkennen, dass Sørlle diese Möglichkeit mitbedacht hat.«
    Â»Niemand konnte das ahnen!«, ruft Wild. Abseits ans Schanzkleid gelehnt, macht er keinen Hehl daraus, dass ihm Shackletons freiwillige Verteidigungshaltung nicht gefällt.
    Shackleton nickt. »Das stimmt wohl, Frankie. Nur geht es mir gar nicht darum, nachträglich Für und Wider gegeneinander aufzurechnen. Es hat alles, von Anfang an, gegen unsere Fahrt gesprochen. Das Geld, der Krieg, der Stopp in Buenos Aires, der Monat in Grytviken und dann das Eis, das immer dort war, wo es nicht sein sollte. Verhext! Mach es dennoch, habe ich mir gesagt! – Ich will Ihnen sagen, auch wenn es die meisten erstaunen wird: Ich habe nie das Gefühl gehabt, zu scheitern. Ich habe es nicht mal jetzt. Denn wir haben nichts unversucht gelassen. Und noch sind wir unterwegs. Dr. McIlroy, Sie finden das amüsant?«
    Â»Nein, Sir. Ja, doch, weil es stimmt, Sir. Die Reise hat allerdings einen anderen Verlauf genommen als geplant.«
    Zustimmendes Knurren ist zu hören, und in den Augen derer, die einen Schuldigen suchen, funkelt der Zorn.
    Â»Sehr richtig. Zumindest wir sechs auf den Schlitten wären inzwischen lange tot. Bei diesen Hunden? Ein weiterer Fehler, ein weiteres Beispiel für die miserable Planung, für die allein ich verantwortlich bin. Aber gut. Damit werden sich andere befassen. Was mir am Herzen liegt, ist folgendes: Etwas ganz und gar Seltsames haftet dieser Reise an. Weil sie nie hätte stattfinden dürfen, weil alles, was schief gehen konnte, schief gegangen ist, weil sich jedes Bedenken im Nachhinein als richtig erwies, kommt es mir so vor, als wären wir gar nicht ins Südmeer gesegelt, sondern als wären wir vollends aus der Welt verschwunden. Als hätte es uns aus jedem menschlichen in einen Bereich absoluter Unwirklichkeit verschlagen. Manchmal sehe ich einem von uns zu und denke: Das tut dieser Mann doch gar nicht wirklich, es ist nur ein Traum, dass er wie besinnungslos seit Stunden wieder und wieder einen Spalt

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