Der eiskalte Himmel - Roman
besteigt, die uns ins Eis hinaustragen sollen. Bevor sich die Karawane in Gang setzt, ruft der Skipper nach vorn, so dass wir alle es hören: »Will jemand den Dudelkasten mitnehmen? Er schwimmt ganz oben in der Luke. Na, was ist?«
Aber er erhält keine Antwort, nicht einmal von Orde-Lees. Worsley hat ein ganzes Schiff verloren, da wird ihm Orde-Lees nicht mit seinem Grammophon kommen. Obwohl sein Blick verrät, dass er mindestens so traurig ist wie der Käptân. Jeder muss Abschied nehmen, von fast allem. 200 Meter vom Wrack entfernt bauen wir die Zelte auf und verbringen eine erste, scheuÃliche Nacht auf dem Eis. Die Bodenmatten sind nicht wasserdicht und die Stoffzelte so dünn, dass das Mondlicht hindurchschimmert. Dreimal bricht die Scholle unmittelbar neben dem Lager, und jedes Mal müssen wir die Zelte abbrechen und sie an anderer Stelle wieder aufbauen. Am Morgen weckt uns Sir Ernest, indem er jedem einen Becher mit heiÃer Milch ins Zelt reicht. Worsley und Wild sind in der Dämmerung zum Wrack hinüber, haben einen Petroleumkanister geborgen und eine provisorische Kombüse errichtet. Für die meisten scheint diese Wohltat eine Selbstverständlichkeit zu sein, sie haben es nicht mal nötig, sich zu bedanken.
Wild, der völlig übermüdet ist, platzt der Kragen: »Wenn noch einer der Herren die Schuhe geputzt haben möchte, stelle er sie bitte vors Zelt!« Mit hochrotem Gesicht stapft er durch den Schneeregen davon.
Shackleton lässt uns einen Kreis bilden. Er stellt sich in die Mitte und beginnt, seine Taschen zu leeren. Ein goldenes Etui, seine goldene Taschenuhr, ein paar Goldmünzen, alles was er sich in den Schneeanzug hat stopfen können, um diesen Auftritt so dramatisch wie möglich zu gestalten, landet auf dem Eis. Ich stehe ganz in seiner Nähe, stocksteif weniger vor Erschöpfung und Kälte, sondern weil ich nicht wage, mich mit der Bibel, die ich in Händen halte, zu bewegen. Während ich auf Shackletons Zeichen warte, sie ihm zu reichen, erklärt er mit ernster Miene, dass es unbedingt erforderlich sei, wie die Tragelast der Schlitten auch das Gewicht jedes einzelnen Mannes auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.
»Nur so werden wir es überhaupt schaffen, die Boote zu ziehen. Und auch für die Hunde müssen wir die Schlitten so leicht wie möglich machen. Ich kann nicht sagen, wie weit wir marschieren müssen, bis wir in die Boote wechseln können, aber â¦Â« Shackleton gibt mir einen Wink, an seine Seite zu treten; und er zwinkert mir in dem Moment zu, als er mit einer Lüge fortfährt: »Aber nachdem Blackboro und ich noch einmal die verschiedenen Expeditionen durchgegangen sind, die zu Fuà im Eis unterwegs waren, bin ich zum Schluss gekommen, dass diejenigen, die sich mit Ausrüstung und Instrumenten für jede Eventualität belastet haben, weit schlechter gefahren sind als jene, die zugunsten gröÃtmöglichen Tempos auf allen Ballast verzichteten. Frage sich deshalb jeder, was er wirklich benötigt! Den Rest werfen Sie weg. Mitnehmen können Sie, was Sie auf der Haut tragen, plus zwei Paar Handschuhe, sechs Paar Socken, zwei Paar Stiefel, einen Schlafsack und ein Pfund Tabak. AuÃerdem zwei Pfund an persönlicher Ausrüstung! Nehmen Sie bei Ihrer Auswahl keine Rücksicht auf den Geldwert der Sachen. Verglichen mit Ihrem und dem Ãberleben aller ist nichts von Relevanz. Merce, Sie schlagen bitte die Bibel auf und lesen vor, was uns die Königinmutter zum Geleit geschrieben hat.«
Ich tue, wie mir geheiÃen, und lese vor, wahrheitsgemäÃ. Obwohl es eine günstige Gelegenheit wäre, nun meinerseits eine kleine Lüge einzuflechten.
Der Mannschaft der ENDURANCE zugeeignet von Alexandra, 31. Mai 1914. Möge Gott Euch helfen, Eure Pflicht zu tun & Euch sicher durch alle Gefahren zu Lande und zur See geleiten. »Mögest Du all die Werke des Herrn schauen & all seine Wunder in Ewigkeit.«
Shackleton nimmt die Bibel, reiÃt die Seite mit der Widmung heraus und wirft das Buch aufs Eis. Acht Stunden gibt er uns, bis wir entschieden haben müssen, was wir brauchen und was wir zurücklassen wollen.
Ich muss nicht lang überlegen, denn ich habe ja nichts auÃer den Klamotten, die ich am Leib trage, und den paar Sachen, die mir Holie und Bakie auf Südgeorgien vermachten: Pullover, Stiefel, Schneeanzug und Brille. Und weil alle
Weitere Kostenlose Bücher