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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Langfristig. Wäre es da nicht klüger, ein geringeres Risiko, – Nein, auf keinen Fall, unterbrach mich der Banker. Das wäre eher schlecht. Sehen Sie, gerade in Ihrem Fall, wo es um eine langfristige Anlage geht, ist diese vierte Gruppe zu bevorzugen. Natürlich können sich kurzfristig Verschiebungen ergeben, aber das ist ja nur kurzfristig; langfristig gesehen würde ein solches Paket die kurzfristigen Verschiebungen wieder aufholen, und nicht nur das, sondern überholen, und diese Gewinne lägen dann um ein Wesentliches höher als bei den minderen Risikogruppen. – Aber, sagte ich zögernd. Der Banker lächelte. Auch hatte er meine Kleidung, mein Schuhwerk, meine Uhr mit einem raschen Blick taxiert. Schauen Sie mal, sagte er selbstsicher, schwenkte den Drehstuhl um seine Achse und wies auf die hinter ihm an der Wand befestigte Graphik, ein kompliziertes Liniengewirr, das von links unten steil nach rechts oben stieg, mit ein paar flachen EKG-Zacken in der Mitte: Das sind die Aktienkurse. Und da sind die Neuemittenden noch gar nicht dabei. Das ist was ganz Großartiges, was wir hier erleben, das sage ich mit voller Überzeugung. New Economy, Internet, Pixelpark, ein riesiges, den ganzen Erdball umfassendes Handels- und Kommunikationsnetz. Und das wächst von Tag zu Tag. Das saugt die alte Ökonomie auf. Und das kann ja auch gar nicht mehr anders sein. Wenn Sie klug sind, dann springen Sie noch auf diesen Zug auf,solange noch eine einigermaßen vernünftige Rendite abfällt. Die anderen schlafen ja auch nicht. Und je mehr Leute auf dem Zug sitzen, desto kleiner werden logischerweise die Gewinnspannen. Wir erleben etwas völlig Neues: Die interessantesten Papiere haben ein im Verhältnis zu den zu erwartenden Gewinnen geradezu minimales Risiko. Das verschwindet fast. Ich mache Ihnen nichts vor. Die Tür öffnete sich, eine Frau lugte herein, flüsterte, nach einem indignierten Seitenblick auf mich: Die Konferenz, Jürgen, denkst du daran. – Jaja. Er lächelte wieder, reckte das Kinn, trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte, schob die Hände in die Taschen, wobei er sich auf dem Stuhl zurücklehnte. Ich rate ihnen zu einer Drittel-Splittung der Anlage, sagte er. Hier, ich kann Ihnen diese drei Fonds vorschlagen. Was der eine mit dem Risiko höher liegt, liegen die anderen darunter. Da haben Sie Ihre sichere Anlage. Ich überlegte: Der Bursche will zur Konferenz oder nach Hause, und dann ist das Wort Konferenz nur das Deckwort dafür. Der hält mich für einen kleinen Fisch, soviel steht fest. Also wird er mir ein typisches Nullachtfünfzehn-Papier andrehen wollen, eine ganz und gar durchschnittliche Sache, lausig und lauwarm wie abgestandene Brause, wie Ansgar sagen würde. Oma-Papiere, wäre Odas Wort dafür. Also genau das, was ich will. Keine großen Zocker-Sachen, wo man den lieben langen Tag auf sein Portfolio aufpassen und von der Börse mindestens soviel verstehen muß wie sein Anlageberater. Eine Sache, die ein bißchen über dem Inflationsausgleich liegen wird. Der Volkswagen unter den Anlagen, nicht der Porsche. Dennoch war ich mißtrauisch. Achtzehntausend Mark waren kein Spielgeld für mich, sondern fast das gesamte Geld, das ich mir in meinem Leben zusammengespart hatte. Er lächelte wieder, wich aber meinem Blick rasch aus. Das muß nichts zu bedeuten haben, Herr Verteidiger. DenVolksaberglauben, daß Menschen, die dem Blick ausweichen, etwas Böses zu verbergen haben, teile ich nicht. Vielleicht haben sie nämlich etwas Gutes zu verbergen. Etwas Wertvolles, Kostbares, das sie den schamlosen Blicken anderer entziehen wollen. Vielleicht sind sie auch einfach nur schüchtern. Ich beobachtete ihn. Gepflegte Schuhe, zum Anzug passende Strümpfe, so lang, daß sie das Fleisch der Wade, wenn er die Beine übereinanderschlug, nicht sehen ließen. Teure Krawatte, teures Hemd mit Haifischkragen. Der Kerl legte Wert auf sich. Mir war einer von Vaters Sprüchen im Gedächtnis geblieben: Ein eitler Bankier kann nie ganz schlecht sein. Man muß ihn kontrollieren, das sollte man übrigens immer tun. Aber einer, der nichts auf sich hält in unserem Geschäft, der hält auch auf die Portfolios seiner Anleger nichts. Ich beobachtete ihn, ziemlich ungeniert, er begann mit den Schuhsohlen zu wippen, auch das nahm mich für ihn ein – er wollte also endlich fertig werden, und irgend etwas sagte mir, daß dann nichts Arges im Hintergrund lauern konnte. Verführer und Schwindler mögen ebenfalls korrekt gekleidet

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