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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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seiner Vor- und Rückhände fast immer von derselben Stelle ausschickte. Man hörte es am Schlaggeräusch:Er traf den Ball genau mit dem Punkt des Schlägers, wo die Bespannung am nachgiebigsten war, die Elastizität den Ball am wuchtigsten zurückprallen lassen würde. Die arme flatternde Kugel, die ich zustande gebracht hatte, verwandelte sich im Sekundenbruchteil in ein Geschoß, das im Aschenrot eine Narbe riß und gegen den Drahtzaun krachte, hinter dem gaffende, mich wohl insgeheim verspottende Jungen standen, die sich ein paar Francs verdienten, indem sie die über den Zaun geflogenen Bälle suchten und zwischen den Sätzen zurückgaben. Die Köpfe waren zurückgeschnellt, Erschrecken malte sich auf den Gesichtern, Vater klopfte gleichmütig die rote Asche von den Schuhsohlen und lief zur Aufschlaglinie zurück. – Der nächste, der bestimmt nicht mehr gegen ihn wird spielen wollen, sagte Dorothea, als ich mich neben sie auf die Bank plumpsen ließ, von der aus wir sonst die im Feld gebliebenen Bälle auflasen, Vater Handtücher und neue Bälle zuwarfen oder die Wasserflasche, die er mit einem knappen, harten Zupacken seiner Linken fing, aus der Luft pflückte, nie fiel sie herunter, griff er fehl. – Was ist los, mein Sohn? schrie Vater und hob die Nase, daß der schmale Rücken aufglänzte. Schon fertig? Das reicht gerade zum Aufwärmen, er sprang auf und ab, blickte mich an, stemmte die Arme in die Hüften, winkte ab. Dann spielte er gegen den Platzwart, einen ehemaligen Profi, sie lieferten sich minutenlange, monoton hämmernde Ballwechsel, die bald von einer ansehnlichen Zuschauertraube verfolgt und mit Kommentaren bedacht wurden. Nach einigen Punkten klebte beiden das Trikot auf dem Rücken. Vater rannte nach jedem Ball, hechtete sich auch nach Stopbällen, die unmöglich zu erreichen sein konnten, stieß einen Schrei aus, wenn er sie mit der Racketkante touchierte und ihnen doch noch einen Vorwärtsdrall zu versetzen vermochte, der den Ball bis zur Netzkante trug. Immerhin, würde er nachherzu uns sagen, ich habe nicht aufgegeben, ich habe mein Äußerstes versucht, man muß immer das Äußerste versuchen, man darf nie aufgeben, hört ihr: niemals. Und noch einmal, wenn er glaubte, daß wir es noch nicht richtig verstanden hätten; verinnerlicht, war das Wort, das er Mutter gegenüber oft gebrauchte: Sie haben es noch nicht verinnerlicht; ein Ritter gibt niemals auf, habt ihr das verstanden, Oda. Dorothea. Wiggo. Ein Name, der verpflichtet. Hast du das verstanden? – Ja, ich habe es verstanden, – Dann wiederhole diesen Satz, sag ihn mir Wort für Wort, ich will ihn hören
    – Aschenbecher gibt es nicht, eine Veranlassung der Ärzte, damit wir, die es nicht lassen können, ihrem Laster zu frönen, suchen, fragen und bitten müssen und die erzieherisch veranlagten, gesundheitsbewußten Schwestern Gelegenheit haben, uns mit ein paar vorwurfsvollen Blicken zu bedenken; über den Flur laufen Patienten mit fahrbaren Infusionsständern im Schlepptau, die Schwestern teilen Tabletten aus
    – Präzision, Perfektion. Dieser Mann, mein Vater, konnte einen Kinderkreisel bewundern, eines dieser Spielzeuge, wie sie in kleinen Manufakturen an der Côte d’Azur hergestellt wurden, konnte sich an der Maserung des Holzes erfreuen und versonnen darüberstreichen. Seine Augen waren dann anders als sonst. Manchmal brachte er Kreisel aus Stahl mit, sie hatten die Größe von Fingerhüten; er räumte die Glasplatte seines Schreibtischs frei und versetzte einen Kreisel in Schwung, lachte vor Vergnügen, ein glucksendes, ungehemmtes, sich aus seinem Bauch befreiendes Lachen, das so kernig und rotwangig wirkte wie ein Bauernapfel. Der Kreisel schien stillzustehen, erstarrt in rasender Umdrehung, minutenlang, dann begann die Kontur unscharf zu werden, der Punkt, auf dem er stand, beulte aus, verschob sich zur Ellipse; der Kreisel vibrierte, taumelte, stürzte schließlich. Der Bankier davorhatte den Stopuhrknopf seiner Jaeger-LeCoultre gedrückt und mit hocherhobenen Brauen das Ergebnis abgelesen: Meister Jouvais arbeitet immer besser, sagte er anerkennend. Manchmal schenkte er guten Kunden solche Präzisionskreisel, im Futteral mit dem feinen Goldschriftzug seiner Bank darauf. Eine kleine Aufmerksamkeit zwischendurch, sagte er dann. Zu Weihnachten oder zum Geburtstag können die Tanten und Verwandten schenken. Die Bank, die ich leite, ist immer für Überraschungen gut. Merke dir das, Wiggo. In den Beziehungen, auch den

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