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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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über die krummgebeugten Rücken der Plantagensklaven schweifen läßt: Frühübt sich. Pfui Teufel, Schande über den Balg. Ich hatte auch Angst davor, einen Gegenblick aufzufangen, Augen voll kaltem Interesse und mühsam gezügeltem Haß, Stellvertreter- Haß: Du bist die Brut des Trampels da vorn, der von uns Dinge will, die noch keiner vor ihm von uns gewollt hat, nicht hier im schönen Süden von Gottes eigenem Urlaubsland; wer hat ihn gerufen, wo kommt er überhaupt her, dieser Boche mit dem beleidigend guten Französisch, schon das gehörte verboten. Es gab diese Ressentiments, und ich wußte davon. Vater sagte immer: Macht euch keine Illusionen, wir sind hier in Feindesland. Wir haben den Krieg verloren, so war es, und dabei bleibt es. Und wenn wir wiederkommen, sind wir die alten Krautfresser von gestern. Erst recht, weil wir wissen, daß nicht ganz Frankreich in der Résistance war. Wir haben sie schlecht werden lassen, wir haben sie auf die Probe gestellt, und viele kamen nicht als die edlen Helden heraus, die sie gerne gewesen wären oder als die sie sich selbst sehen. Viele haben versagt; dafür hassen sie uns
    – ich gestand es mir ein, daß ich Angst hatte vor einem solchen Blick, schon Abscheu oder Widerwillen hätte ich nicht ertragen, erst recht nicht einen unverhohlenen Haß, der auf mich gerichtet war. Ich hatte Angst davor, zu schwach zu sein, ihn auszuhalten. Ich hatte Angst davor, daß durch sie, die Fremden, ich vor mir selbst als Schwächling bloßgestellt werden könnte. Daß mein Vater, wenn er wegwerfend von meinen Fähigkeiten sprach, recht haben könnte. Ich hatte Angst vor seinem Geheim-Blick, der, bildete ich mir ein, das Aufsehen und Mustern forderte, den Mut, es ihm gleichzutun. Vielleicht hätte er sich auch schon mit einer Geste begnügt, die wie ein Messerschnitt in die zum Zerreißen angespannte Atmosphäre gefahren wäre: zum Beispiel die Tasse heben und vom Kakao trinken; trinken, nicht schlürfen, wasallzu provokant und ungehobelt gewirkt hätte, schon das Geräusch, das es gab, wenn beim Zurückstellen das Porzellan der Tasse das der Untertasse berührte, hätte meine Haltung unmißverständlich ausgedrückt. Er wäre dann vielleicht zufrieden gewesen. Zufrieden: Womöglich habe ich es damals gedacht. Heute bin ich mir nicht mehr sicher. Oft, wenn ich mir diese Konferenzen ins Gedächtnis zurückrufe, wenn ich mich, den Wiggo von damals, an Vaters Seite sehe, auf einem Segelboot vor Nizzas Küste, er mich anraunzend, ich solle mich nicht so tölpelhaft anstellen: Du Niete, du bringst ja gar nichts zustande, nicht einmal so eine lächerliche Halse, kommen mir Zweifel. Vielleicht suchte er Widerstand. Vielleicht litt er selbst daran, daß Menschen so mit sich umspringen ließen wie er mit ihnen umsprang; vielleicht suchte er sie zu reizen, damit sich Widerstand entwickelte, damit eines Tages endlich einmal soviel Zorn angestaut war, daß er sich entlud, daß es gesprochen wurde, das Wort, das seinen Angriffen und Tobsuchtsausbrüchen Parade bot. Ich halte es für wahrscheinlich, daß er uns verachtete, weil wir ihm wie Duckmäuser vorkommen mußten. Vielleicht wollte er die anderen in den Konferenzen – und mich – dazu bringen, unsere Köpfe höher tragen zu lernen. Eine möglicherweise weit hergeholte und absurde Konstruktion; aber je länger ich darüber nachdachte, was er wirklich mit diesen Unterrichtsstunden bezwecken konnte – denn solche waren es, spürte ich, noch immer, nur daß Lehrer, Schule und Methoden gewechselt hatten: nichts, keine Zurechtlegung, konnte mir schließlich so überzeugend erscheinen wie diese, vielleicht auch nur, weil es die faszinierendste war: Widerstand. Wir sollten an ihm wachsen; er brachte uns ein subtiles Opfer, das subtilste und vielleicht größte, das ein Vater bringen kann, weil er riskiert, die Sohnesliebe zu verlieren: Ich setze mich deinem Haß,deiner Verbitterung aus, damit du zu dir selbst findest. Die Welle schlägt höher erst an einer Klippe. Er mußte ja wissen, dachte ich, daß ich verschreckt hinausgehen würde, innerlich taumelnd, angeschlagen wie ein Boxer; daß ich nicht denken würde: Siehst du, wenn du dich nicht anstrengst und das bißchen Zusammenreißen nicht fertigbringst, das nun einmal dazugehört, dann wird das Leben so aussehen wie ich, wenn mir die Zornesader schwillt, kapiert, mein Sohn. Nein, diese Schlußfolgerung, simpel und robust, wie sie war, genügte mir nicht. Möglich, daß das ein Fehler ist,

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