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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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dazu?
    – und das erste, was er mich fragte, nachdem ich mich umgezogen hatte, war: Brauchst du Geld?
    [ PATRICK G. {...}] der Schauspieler sagte dazu nichts, Herr Verteidiger. Die anderen redeten über Aussichten am Anlagemarkt, Optionsscheine, Termingeschäfte, regelmäßig unterbrochen von Pieptönen. Meist war es Wiggos Vater, der sein taschenrechnerflaches Handy hervorzog: Ja. Am Apparat. Er stand dann auf, sagte: Entschuldigt. In der Zwischenzeit erzählte Ansgar von Schweinefutures an der Warenterminbörse, ein Geschäft, das seine Tücken habe für den, der die Feineinstellungen nicht kenne: Hände weg, kann ich nur raten. Das istwie Ernte auf dem Halm kaufen. Oder wie gepflegte asiatische Junkbonds. Ein Himmelfahrtskommando.
    Wenn Wiggos Vater zurückkam, forschte Gabi in seinem Gesicht; es hatte immer einen gleichmütigen Ausdruck, wunderbar beherrscht, ganz gentlemanlike, der perfekte Profi. Wenn ich es sah, dachte ich: Der hätte es auch bei uns zu etwas gebracht, der würde in keiner Branche Klinkenputzer bleiben. Für Stil hatte ich schon immer sehr viel übrig. Einmal sagte er: Oda. Sehr leise, aber trotzdem für uns alle hörbar. Wir wandten den Kopf, es hatte wie ein Befehl geklungen. Oda sah ihn an, er sagte, ganz gleichmütig (doch auf mich wirkt solche Gleichmütigkeit immer alarmierend, das kenne ich von den Regisseuren, wenn sie zu den Produzenten gehen und eine Überziehung der Produktionskosten um, sagen wir, fünfzig Prozent vorschlagen): Paßt mal auf euren neuen Fonds auf. Die Performance ist nicht besonders. Sechzehn Prozent Exxon halten unsere Analysten für zu reichlich eingekauft.
    Hab ich doch gleich gesagt, rief Ansgar triumphierend. Hättet ihr mal lieber unser AT & T-Paket genommen. Neuer Markt ist die Zukunft. Telekommunikation. Geht’s den Leuten gut, rufen sie sich an und erzählen, wie gut es ihnen geht, geht’s ihnen schlecht, rufen sie sich erst recht an. Bombensicher. Und wieso habt ihr Nestlé abgestoßen?
    Ach Gottchen, Nestlé, dieses Großmutterpapier! (Mich wunderte, wie vehement sie stritten, Oda schien mir gegenüber den anderen, selbst ihrem Vater gegenüber, in einer Verteidigungsposition zu sein, sie wehrte sich mit Händen und Füßen gegen etwas, das ich als Vorwürfe nicht bezeichnen würde, dazu war es zu vage im Ton und zu unscharf in der Kennzeichnung; aber ich spürte, daß es, wie man das Klima solcher Situationen gern umschreibt, ein Problem gab.) Oda sagte: Das nehmt ihr, das ist typisch für euch. Ihr müßt mal wasriskieren. Eure Fondsmanager sind viel zu vorsichtig. Papa, ich glaube, eure Analysten haben noch die alten Geschäftszahlen. Und die Performance
    – erwachsen, oft fragten sie mich: Wann wirst du erwachsen, Wiggo, eines Tages glaubte ich erwachsen geworden zu sein, und es bedeutete, Angst zu haben, weil man liebte, – Nein, danke, ich brauche kein Geld, sagte ich zu Vater; erwachsen werden, Zeit, das Vergehen von Zeit, die unsichtbare Regierung, die jetzt herrschte, hatte nichts anderes getan, als im Hintergrund der politischen Tragödien, Possenspiele und Grotesken des zuendegehenden Jahrhunderts seelenruhig zu warten, bis die Frist um war, eine Uhr schlug und ein abgeschminkter Narr die Bühne betrat, um uns, den ungläubigen Zuschauern, ein Schild hochzuhalten: Die Vorstellung ist aus; jemand hatte einen Rotstift genommen, die Textbücher durchgestrichen und zwei Sätze darübergeschrieben: Wir sind für Wirklichkeit. Leben ist Geldverdienen
    [ PATRICK G. {...}] ist doch nicht schlecht, ich weiß wirklich nicht, was ihr habt! Und dann kippte das Gespräch auf einmal, es mußte zwischen Wiggo und seinem Vater eine Unterredung gegeben haben, beide waren noch vornübergebeugt, sichtlich erregt. Eine Unterredung, die unter dem Hauptgespräch so unauffällig und schnell verlaufen sein mußte, daß wir erst jetzt etwas davon mitbekamen. Wiggo sagte, ziemlich verächtlich: Rente? Du willst, daß ich mir Gedanken über meine Rente mache? Ich bin froh, wenn ich das nächste Jahr erreiche, wieder das nächste, undsoweiter –
    Als ich so jung war wie du, dachten wir auch alle, wir sterben mit neununddreißig. Und jetzt bin ich fast sechzig!
    Zukunftsplanung, der verächtliche Ton in Wiggos Stimmehatte zugenommen, es schien ihm darauf anzukommen. Darin warst du schon immer gut. Aber die Zukunft interessiert sich nicht für unsere Pläne –
    Kann es sein, daß du für irgendetwas in deinem Leben, was ich vielleicht einmal als schiefgelaufen

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