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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Angestellten. Meine Sekretärin hat mir das Video gezeigt. Bei aller Freundschaft, Herr Grammarté, ich leite keine Kirmes. Ich habe weiß Gott Verständnis, aber das geht entschieden zu weit. Das kann und werde ich nicht dulden. Sollten Sie Dorothea heiraten, haben Sie bei Ihrem Sender entweder eine Karriere gemacht, die Ihnen gestattet, auf solche ... Einlagen zu verzichten, oder sich einen anderen Beruf gesucht.
    Ich muß zurückgestarrt und mich dabei verändert haben, denn er sagte: Das ist mein voller Ernst. Meine Tochter heiratet keinen Schmierenkomödianten. Haben wir uns verstanden? Warum sind Sie eigentlich in dieser Branche, bei diesen ... Schmutzfinken? Warum sind Sie Schauspieler
    Ich unterbrach: Ich bin kein Schauspieler.
    Er setzte ruhig, aber um eine Nuance betonter fort: – Schauspieler geworden?
    Ich hatte noch mein Weinglas in der Hand. Ich verbeugte mich knapp, hob das Glas: Der Schmierenkomödiant wollte wissen, wie man einem Moralapostel zuprostet. Dann kehrte ich auf dem Absatz um und verließ den Raum
    – Licht, natürlich hattest du nichts übrig für mich und die sonderbare Art von Versteckspiel, die du mein Leben nanntest, Vater, die Fieberschauer laufen über meinen Körper wie giftige Feen, der Streit mit deiner Frau, der Füchsin, du warst in Tokio, sei leise, sagte sie, das Baby wacht sonst auf, mein Halbbruder nebenan, der ihre teefarbenen Augen hat, aber dein, mein schwarzes Haar, das Licht von Hellas, die Stille, die unausdenkliche, vorzeitliche Stille, die mich umgab, ohne Müdigkeit wanderte ich im Abendlicht, vor mir die Meeresfläche, zeitloses Blau, ruhig, immer gekannt und nie, Meer und ferne Lichter, Bäume an der Landstraße, Licht, das in Tausende Strahlen zersplitterte, von denen jeder seinen Schatten warf, tief, phantastisch und exakt, Eppich, der alles bedeckte, silbergrau und grün, Selinunt
    – jetzt spinnst du wirklich, Wiggo, entrüstete sich Dorothea, also echt, ich hab ja immer viel Verständnis für dich gehabt, aber hier muß ich Papa und Oda recht geben, und überhaupt, bist du denn besser? Aus welchem Grund glaubst du, so von oben herab reden zu können? Immer verlangst duInteresse von den anderen, du bist der Mittelpunkt. Hast du dich denn zum Beispiel mal für mich interessiert, was ich mache und wie’s mir so geht? Immerhin bin ich deine Schwester, du hackst hier auf Gabi herum, sie hat Geburtstag
    – blaues Sandknöpfchen, Altweibersommer auf den Havelwiesen, erinnerst du dich, der Duft der Skabiosen, Weinen hilft nichts, Dorothea, Labkraut und Waldlöwenzahn, die gesägten Blätter, Licht, gefangen in einem Taudiadem auf einem Spinnennetz, die Gichtfinger-Silhouetten der alten Obstbäume in den Gärten, Kornäpfel, Grüne Jagdbirnen, der Wiedehopf auf dem vermorschten Leiterwagen, den Kopf mit dem Federschopf eines Indianerhäuptlings hielt er schräggelegt, beäugte mich argwöhnisch, ich bewegte mich nicht
    – und dann sitzt du da, entrüstete sich Dorothea, knabberst Kekse und schaust dir einen deiner bekloppten Super-8-Filme an, immer denkst du, du bist was Besseres als wir, mit welchem Recht eigentlich, Wiggo, Ruhe, jetzt rede ich, diese Dreiminutendinger, auf denen nichts zu sehen ist als ein Stück Strand, paar Kiesel und ein angeschwemmter Badelatsch, wenn’s hochkommt, du ... du Aussteiger
    – Fieber, hat Jost nicht mal gesagt, daß sie nicht genau wissen, ob es heilsam ist oder schädlich, Aigina, der Aufstieg zum Aphaia-Tempel, zarte, beinahe durchsichtige Schatten in den Zweigen, sei leise, sagte sie, bat sie, wir stritten bis aufs Messer, liefen umeinander herum, sie auf einmal nah, zornrot und schön, sie schwitzte, atmete schwer, die leberfleckbesternte Haut, ich riß sie an mich, wußte nicht, was ich tat, sie hatte gerade noch Zeit, nach dem Schlüssel zu greifen und abzuschließen, der Feuerduft ihres Haars, ich werde nach der Schwester klingeln müssen um Fiebertabletten, Sizilien, das weiträumige Hügelland von Agrigent, herb, wie gestriegelt von Pflugspuren, der donnernde Pleuel in meiner Brust, als sie zustöhnen begann, die Dienstboten, keuchte sie, und ihre Hand auf ein Kissen warf, um wie eine Gebärende darauf zu beißen, nicht vor Schmerz, ich küßte ihren Bauch, die Schenkel, das sich weitende, mit der gleichen animalischen Heftigkeit wie damals reagierende Geschlecht, sie stöhnte, nicht vor Schmerz, sondern vor Lust, wie damals, im Jahr vor der Geburt meines Halbbruders, Agrigent, Silberdisteln auf den Abhängen,

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