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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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will?
    – bitte bedienen Sie sich und lassen Sie es sich schmecken! Freifrau von Usar lächelte mich an und reichte Patisserie zum Tee, – Nur keine Angst, junger Mann, wir beißen nicht. Ich freue mich, daß Sie uns besuchen kommen, und überhaupt, daß Mauritz Sie gefunden hat. Er spricht viel von Ihnen, glauben Sie mir! Wir telefonieren oft, ich habe ihn gern. Junge Menschen wie er sind selten ... Er mag auf manche abweisend und vielleicht hochmütig wirken, aber der, der genau hinschaut, wird bemerken, daß Mauritz all dies nichtist ... Er ist ziemlich offen, und seine Meinungen mögen nicht nach jedermanns Geschmack sein, doch abgesehen davon, daß diejenigen wenig taugen, deren Meinungen nach jedermanns Geschmack sind, ist es doch ein Zeichen von Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit, nicht wahr? Mit Heuchelei kann man viel gewinnen, Offenheit ist häufig verletzend, und es braucht ein gutes Auge, um zu erkennen, wieviel jemand riskiert, der offen ist und nach Wahrhaftigkeit sucht: Er riskiert es, einsam zu bleiben und Freundschaften aufs Spiel zu setzen ... Ich habe ihm schon manchmal gesagt, daß seine Kompromißlosigkeit es ihm nicht leichtmachen wird im Leben, aber schließlich, wir brauchen solche Menschen wie ihn! Die Angepaßten, die Schafe, die getreu jedem Modehammel hinterherrennen, bringen uns nicht weiter ... Aber er ist ziemlich allein, das macht mir Sorgen, er könnte es bequemer haben. Es gibt nicht viele Menschen, die genau hinschauen und sich von Vorurteilen nicht blenden lassen
    – hat eine Elite nichts anderes im Sinn, als Geld zu horten und sich ihrer Privilegien zu erfreuen? Sie, liebe Freunde, Unternehmer, Bankiers und Manager, werden gewissermaßen als Ausgeburten der Hölle diffamiert, als böse Kapitalisten, Beutelschneider und Kriegstreiber, die den Müden und Beladenen am Wegesrand auflauern, um sie ihrer Zehrpfennige zu berauben; als geldgierige Scharrer und Raffer, die nichts Besseres zu tun haben, als unschuldigen Proletariern und idealistischen Kulturschaffenden das Blut abzusaugen ... Selbstverständlich, genauso ist es, genauso und nicht anders ... Auf der einen Seite die Gutmenschen, friedliebend, vegetarisch, nickelbebrillt und protestbewegt – auf der anderen Seite die Bösemenschen, ausbeuterisch, machtversessen und korrupt ... Selbstverständlich! Und wie, liebe Freunde, steht es mit der Ordnung, mit dem Gesetz? Mit der Ordnung steht es so, daß alles in Unordnunggeraten ist ... Der Idiot tritt in der Talkshow auf, die größten Einschaltquoten haben Sendungen, in denen nichts, aber auch nichts bedeutend ist als die Hirnrissigkeit ihrer Teilnehmer, eine geradezu abstoßende Hirnrissigkeit! Ein paar Leute sitzen in einem Container und sehen sich gegenseitig beim Abwaschen zu, das ist alles – und dafür gibt das Fernsehen Platz, das ist es, was die Menschen offensichtlich sehen wollen, die aufgrund der allumfassenden Verblödung mittlerweile nicht viel mehr als bunte Knete im Kopf haben! Ist das der Fortschritt?
    [ DOROTHEA R. {...}] er sagte zu mir: Weißt du noch, Nizza?
    und ich: Aber in Nizza,
    und er: Aber in Nizza waren wir glücklich, nicht wahr, bist du glücklich gewesen, die Sommer und die Gerüche des Hafenviertels, die Gerüche im Haus, wenn der Mistral kam und das Licht eine Kavalkade von Schattenfiguren vorüberziehen ließ, weißt du noch, waren wir glücklich,
    und ich: Du tust so, als wäre das Leben dazu da, dich glücklich zu machen, als hättest du einen Anspruch darauf, bei der Geburt ausgestellt, mit dem Ablösen der Nabelschnur fallen gelassen ins Leben, das dir Glück zutragen muß wie Bienen den Honig in die Waben tragen? Übertreibst du nicht ein bißchen? Hast du dich nicht einmal vor den Spiegel gestellt und gefragt: He, Wiggo, bist du nicht ein bißchen naiv?
    und er: Naiv?
    und ich: Wie würdest du es nennen, werde endlich erwachsen, Wiggo, du kommst mir manchmal wie ein Kuckuck vor, der den Schnabel aufreißt und schreit: Füttert mich füttert mich füttert mich mit Glück, und die Eltern sind nur halb so groß wie er, verdammt nochmal, werde endlich flügge– Manuela lachte und beugte sich vor dabei, die Abendsonne lockte freischwebende Glut in den Cocktailgläsern hervor, kleine bunte Sonnen auf den weißgedeckten Tischen im Park, das schwimmende Weiß zwischen dem Dunkel der Büsche, den zu Figuren geschnittenen Hecken, es waren dreißig, vierzig Gäste da, alle mit den wohlabgestimmten, gemessenen Bewegungen reicher Leute auf

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