Der Eisvogel - Roman
Dinnerpartys oder Vernissagen, Mauritz ging von einem zum andern, lässig, selbstsicher, er sah sehr gut aus in dem schwarzen Frack und dem blütenweißen Hemd mit den viereckigen schwarzen Knöpfen und Rubinmanschetten, er blieb hier bei einem Weißhaar stehen, mit dem er sich ein, zwei Minuten unterhielt, dort bei einem Managertyp mit scharfgeschliffenem Blick, metallisch glänzendem Smoking und lachsfarbener oder apfelgrüner Krawatte, lächelte und bezauberte ihre Frauen, die wie kleine Mädchen nervös an ihren Perlenketten und Armreifen drehten, seinen Blick: das mit ihrer Neugier zu füllende Eisenblau, suchten, aber hastig auswichen, sobald sie spürten, daß er ihnen in die Augen sehen würde; Frauen, deren Finger mit den rotlackierten Nägeln unruhig die Cocktailgläserstiele zwirbelten, wobei ihre Blicke still und raublustig über Bauch und Brust, Wange, Ohr, sein Haar wanderten, den Adamsapfel, die wie geschnitzt wirkenden Hände streiften und unverblümt auf seinem Hintern verweilten, während ihre Lippen den Cocktail in kleinen, träumerischen Schlucken nippten, wenn Mauritz weiterging; die Industrieadmirale in dunkelblauen Maßschneidersakkos und Jermyn Street-Hemden, das Stück für vierhundert Pfund, ich sah plötzlich Vater vor mir, wie er, vor dem Spiegel stehend und sich die Krawatte bindend, gesagt hatte, damals in London: Die Schneider der Jermyn Street arbeiten erstklassig, vierhundert Pfund, alles andere kratzt; weiße Leinenhosen, die in der Entfernung mit dem Kies auf den Wegen verschmolzen,Königin Beatrix bildete den apricotfarbenen Kontrapunkt zu Mauritz, sie war die Gastgeberin, schlenderte von einer Gruppe zur anderen, gab den Bediensteten unauffällige Zeichen, nickte den Köchen zu und der angeheuerten Band, die Kaffeehausmusik spielte, molluskenhafte, von niemandem ernstgenommene Hintergrundbeschallung, der Bischof stand mit auf den Rücken gelegten Händen unter einer Kette Lampions am See, sah auf das glitzernde Wasser, hinter ihm der Wechsel der Flanierenden, sie beachteten ihn nicht
– und was mich wundert, ist, wie friedlich es trotz allem zugeht in diesem Land, wie wenig sich die meisten Menschen trauen, ihre Gedanken zu äußern und das, was sie denken, zu verteidigen ... Alle, mit denen ich bisher gesprochen habe, teilen meine Meinung, daß es so wie bisher nicht weitergehen kann, aber niemand ist bereit, aus diesem Umstand die Konsequenzen zu ziehen ... Ebenfalls seltsam! Das Land liegt in einem Dämmerschlaf, es scheint auf etwas zu warten, einen Befreiungsschlag vielleicht oder ein Zeichen des Himmels oder eine alles hinwegfegende Explosion, ich weiß es nicht, liebe Freunde
– plötzlich sah ich das Meer meiner Kindheit wieder, als ich langsam hinab zum See ging, den Strand von Nizza, die blau-weiß gestreiften, im Wind flatternden Markisen; wirklich, ich freue mich, daß Sie Zeit gefunden haben und mitgekommen sind, sagte die Freifrau. Möchten Sie lieber etwas Herzhaftes zum Tee?
– Manuela hatte sich umgezogen, ich bemerkte den Schatten, der sich von den Tischen löste, als ich den Weg zum See einschlug, sie trat mir aus einem Seitenweg entgegen, das knapp geschnittene elegante Abendkleid mit den zwei dünnen, überkreuz verlaufenden Trägern über Rücken und Dekolleté, eine Zickzackschnur lief bis zu den Hüften hinab, ließ diesahnige Haut der Seiten bis zum Ansatz der Brüste frei. Manuela hielt ein Weinglas, Rotwein spielte darin von der Farbe ihres Haars
– he, Flo, erzähl doch mal von dem Deal mit dieser Pharmafirma! rief der Spirituosenfabrikant Edgar, und Flo, ein vierzigjähriger Professor, rückte an der Brille und grinste geschmeichelt, schwenkte den Cognac im Cognacschwenker, spitzte die Lippen: Ja, die Sache ist die, daß diese Firmen soundso viele Studien, Doppeltblindstudien, randomized, – Doppeltblindstudien? fragte Manuela, lachte und sah mich an dabei, – Ja, Doppeltblindstudien, das bedeutet, daß es zwei Probandengruppen gibt, eine kriegt ein Placebo, die andere das Wirkpräparat, aber keine der beiden Gruppen weiß, wer was hat, und randomized heißt einfach: nach Zufallsprinzip, jedenfalls müssen diese Pillendreher einen ganzen Haufen klinischer Studien machen, an Patienten, ehe das Zeug eine Zulassung kriegt, ziemlich kompliziert, und nun hängt’s ja davon ab, wo sie das machen können, also zum Beispiel bei mir, und wer ihnen das macht, zum Beispiel ich, indem ich ihnen meine Klinik für solche Studien zur Verfügung stelle, was
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