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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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aber einiges kostet ... für meine Assistenten springt die Promotion bei raus, paar Artikel in diversen Fachzeitschriften für uns alle, mein Name muß da schon mit draufstehen, denn sie treiben ihre Studien ja an meiner Klinik
    – Philosoph, wirklich, sehr interessant, sagte der Bischof, hüstelte leise, hob die Hand mit dem Bischofsring, er wirkte fern, das schwarze Kleid rissig von Licht an den Rändern, wie er vor dem Fenster stand, das von der Abendsonne ausgegossen war, ich erinnerte mich an Nizza, Kirchenkühle, durchspielt von Staubbahnen, die durch riesige Glasfenster mit farbigen Darstellungen aus der Heilsgeschichte einfielen, das filigrane Rankenschnitzwerk des Lettners, den eine Prozession Geistlichermurmelnd durchschritt, der weihrauchschwenkende Mesner, das Tabernakel, aus dem der Domdechant die Hostien nahm, Vater und Mutter bekreuzigten sich, ich schielte zu Jeanne, deren ungebändigte Haarfülle die Chorknaben irritierte, die Orgel dünte ihre Anrufungen in die lichtdurchspielte Höhe mit den feixenden Pausbackenengeln und entrückt, Antoine sagte immer: orgasmisch, nach oben weisenden nackten Rubensweibern, deren Euterbrüste und Brauereipferdhintern wir studierten, wenn wir fromm nach oben blickten und mit gefalteten Händen, das Vaterunser betend, in den Bänken knieten. – Philosophie beginnt, wo ein Bruch geschehen ist mit der wirklichen Welt und ihrem Leben. Philosophie ist Ausdruck der Entzweiung mit dem wirklichen Leben. Hegel. Und Sie sind dann natürlich kein Atheist?
    – und ich habe den Quattro draußen abgegriffen, den kann Babette zum Einkaufen nehmen, und außerdem ist auch ein nettes Sümmchen rausgesprungen – Kein schlechter Geschäftsmann, unser Flo, sagte Edgar, der Spirituosenfabrikant, aber das war er schon in der Penne. Er hatte eine Sportbefreiung, und in der Sportstunde, wenn wir schwitzten, ist er zum nächsten Getränkegroßhandel getrabt, hat sich dort billig mit Limos eingedeckt, die er nachher, wenn die Stunde aus war, zu unverschämten Preisen verschachert hat, der gewiefte Hund, wir hatten natürlich immer tierischen Durst nach dem Sport, und das Leitungswasser schmeckte wie Plörre! Daß du’s mal zu was bringen wirst, war mir damals schon klar!
    – blau-weiß gestreifte, im Wind flatternde Markisen, Oda, die lachend aus der Brandung gerannt kam und die sich in der Sonne aalende Dorothea mit glasgrünem Regen bespritzte, Pastaverkäufer, Capannen, die Farbtupfen der Badetücher, manchmal zog die bockige, schwarz-weiß gewürfelte Savoia- Marchetti des verrückten Flugingenieurs knatternd ihre Kreise,ausgemustert aus der Aéropostale, streifte fast die Schöpfe der Palmen auf der Promenade des Anglais, das hatte noch etwas bedeutet, all diese Dinge, Strand und Meer und die Capannen, dies war ein Krug und nicht der Beginn, das Gleichnis von etwas anderem, es war seine Geschichte, die er in der Umhüllung seiner Leere verschwieg; wir gingen nebeneinander zum See, das Haus und der Rasen mit den Flanierenden entfernten sich, die Musik wehte in Fetzen heran, Manuela trank den Wein aus, stellte das Glas auf das Füllhorn einer marmornen Gartengöttin, aus dem Blumen wuchsen. Und das hast du alles hingeschmissen? – Ja. – Gefällt mir. Ich sagte nichts. – Was schaust du mich so entsetzt an, hab ich was Falsches gesagt? – Nein, nur bist du die erste, die das sagt: gefällt mir. – Ach du armer verkannter Weltverbesserer! Sie lachte und zwinkerte mir zu. Wundert mich nicht, daß ihr euch gefunden habt, Mauritz und du
    – und Sie, wenn ich noch mal fragen darf, haben eine Philosophen-Praxis in Berlin, was macht man denn da, was wirft denn das so ab? – Mensch, Edgar, schüchtere doch den Herrn Ritter nicht so ein, unter Geistigem versteht man nicht bloß Spirituosen!
    – wie sie lachten wie sie lachten wie sie lachten
    – alle fühlen, daß es so, wie es ist, nicht gut ist, sagte Mauritz, die Zuhörer saßen mit verschränkten Armen und gesenkten Köpfen, Krittelei und Tadelei überall – aber keiner unterbreitet Vorschläge, die an die Wurzel des Übels gehen, die also untersuchen, ob diese Gesellschaft nicht vielleicht deshalb nicht funktioniert, weil der ihr zugrundeliegende Gedanke, das sie bestimmende System: die Demokratie, nicht funktioniert ... Die Demokratie ist die Gesellschaftsordnung des Mittelmaßes, des Geschwätzes und der Unfähigkeit, aus dem Geschwätz fruchtbares Handeln werden zu lassen ... Nichtsbewegt sich mehr! Alle Räder sind

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