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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Mauritz vom Fenster des großen Salons spähte, in kirschroten oder kamillegelben Porsches, manche auch auf schweren Motorrädern, deren nach oben gebogene Auspüffe Salven von Bullengebrüll ausstießen, wenn die Hand am Gashebel spielte
    – Philosophie, interessant, wirklich, sehr interessant, murmelte der Bischof und musterte mich durch seine randlosen, achteckig geschliffenen Brillengläser, Sie sehen ja, seine Hand, schwammig wie gebackenes Kalbfleisch wirkend, strich über den schwarzen Klerikerrock, unsere Fakultäten liegen gar nicht so weit auseinander, wie es so oft heißt, auch ich trage das Gewand des Geistesarbeiters. Philosophen sind ja im Grunde Gottesmenschen, nicht wahr, und die Mutter Kirche
    – tanzt du? fragte der feingezeichnete Mund unter den dunkelgrauen Augen, die denen von Königin Beatrix nicht glichen, eine andere Farbe, ein anderer Ausdruck, das Gesicht hatte nicht den bei der Freifrau vorherrschenden Zug, den die Franzosen contenance nennen, nicht die Geschäftsfrauenbräune und die weißen Lachfiederchen in den Augenwinkeln, die Fingernägel waren nicht apricotfarben lackiert, – Ich fürchte: nein, sagte ich, – Also doch ein bißchen, aber du glaubst, nicht gut genug? Hm, sie seufzte leicht, wie immer, die Männer heute können nicht mehr tanzen, außer Mauritz. Aber komm, sie streckte ihre Hand aus und ergriff meine, ich stelle dich denFreunden vor, und da du einmal hier bist, mußt du auch ein wenig tanzen lernen
    – liebe Freunde und Mitglieder der Organisation Wiedergeburt, begann Mauritz, wir sind heute an diesem Ort zusammengekommen, um uns über einige Verfahren klarzuwerden, die unserer Arbeit dienlich sein sollen. Ist die Demokratie, vielmehr das, was von dieser Idee – denn es ist eine Idee – in die Wirklichkeit der politischen Verhältnisse gelangt, die beste der gesellschaftlichen Umgangsformen? Ich will es einmal so nennen, liebe Freunde ... Alles vernünftige, das heißt, am Wohl des Menschen orientierte Denken und Handeln ist durcheinandergeraten und in vielen Bereichen sogar außer Kraft gesetzt, die Vernunft ist unter jene Schwelle gerutscht, von der aus sie erst wirksam werden kann ... Wir sehen Leute an der Macht, die nicht an die Macht gehören, die die Staatsmacht aufgeweicht, in ihrer Jugend Polizisten angegriffen, Gesetze gebrochen und versucht haben, den Staat unter kommunistischen Einfluß geraten zu lassen, die Unternehmer und Bankiers entführt und ermordet haben oder ermorden haben lassen
    – Mauritz schritt auf und ab, heftig erregt, steckte die Hände in die Taschen, nahm sie heraus, um wild zu gestikulieren, hackte mit der Zeigefingerspitze die Ausrufezeichen und Punkte in die Luft
    – und sie, deren ideologische Konzepte aus der marxistischen Mottenkiste stammen und jetzt die von verbitterten Altlinken geführten Alternativbuchläden hüten: sind sie etwa keine Elite? Genährt vom Bürgertum und von Geld, das sie niemals haben verdienen müssen, planten diese Leute die Revolution, deren Folgen unser Land bis heute zu tragen hat!
    – wie sie nickten, die Umsitzenden, die Köpfe klappten mit der mechanischen Monotonie hüpfender Aufziehfrösche aufund ab, es waren nicht alle Gäste dabei, ich sah die Freifrau und den Bischof, einige von Mauritz’ und Manuelas Freunden, denen ich vorgestellt worden war, einige ältere Herren in teuren Kapitänsanzügen mit Goldknöpfen an Ärmeln und Revers. Manuela saß mit verschränkten Armen, den Blick starr zu Boden gerichtet, ihre Schuhspitzen wippten leicht, manchmal schlug sie die Beine übereinander und zupfte das Kleid über dem Knie des vorgestreckten Beins zurecht; Gelächter und Wohl, wohl- Rufe, sie taxierten die wechselnden Graphiken, die der Projektor an die Wand warf, Zeitungsausschnitte, Fotos, die grundlegenden Prinzipien der Organisation Wiedergeburt, die Mauritz mit einem Laserpointer bepunktete, Mauritz’ Gesicht war bleicher als sonst, er sprach frei, suchte die Blicke der Anwesenden, wich aber meinem aus, seine Stimme hatte einen schneidenden Klang
    – Bildung haben heißt eingebildet sein in den Augen ihrer Ideologie, von der Verpflichtung des Gebildeten zum Dienst an denen, die ihm diese Bildung ermöglichten, ist dagegen nie die Rede ... Ist denn aber eine Elite eine losgelöst in irgendwelchen Wolkenkuckucksheimen herumtändelnde, von allen Problemen des Landes unberührte Schicht? Ist sie wirklich der Popanz, zu dem eine lügnerische, volksverdummende Ideologie sie aufblasen

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