Der Eisvogel - Roman
des Deutschlandlieds, der Herr mit der Bismarckbürste mußte sich bei den ersten Worten verbessern, womöglich hatte er die erste Strophe erwartet, ich preßte mehr die Worte zwischen den Zähnen hervor, als daß ich sie frei und überzeugt sang; mir schien ein Widerspruch zwischen Mauritz’ Tiraden, die mir noch im Ohr hallten, und dem jetzigen Gebaren der Gesellschaft zu liegen, die die Hymne ebendesselben Staats sang, den sie vorhin mit verächtlichen Worten niedergemacht hatte, aber vielleicht waren Hymne und Staat für sie zweierlei Angelegenheiten. Auch Manuela sang,ich musterte sie aus den Augenwinkeln, sie hatte den Kopf gesenkt und schien genauso betreten mitzutun wie ich. Als die Hymne zuende war, blieb Mauritz am Klavier sitzen, in sich versunken, wie mir schien, konzentriert, Stille breitete sich aus, niemand setzte sich, dann begann er die Mondscheinsonate zu spielen, entrückt zu den Takten singend, die Freifrau hatte die Augen geschlossen, eine Träne rann ihr über die Wange. Der Bischof stand mir gegenüber, auch er hatte die Augen geschlossen, hielt die Hände vor dem Rock verschränkt und den Kopf leicht geneigt. Auf einmal hatte er für mich gar nichts Komisches mehr, ich sah einen alten Mann, dessen Körper kaum zwei Meter von mir entfernt stand, dessen Geist aber sehr weit entfernt sein mochte, und ich sah hinter seinem schwammigkalbfleischhellen Gesicht plötzlich ein anderes hervortreten, ein zarteres, kindlicheres, vielleicht das Gesicht dieses Mannes, wenn der Alltag mit seinen Anforderungen und Maskierungen von ihm abfiel, ein sehr privates und unbeobachtetes Gesicht, wie mir schien; erinnert von der Musik. Mauritz spielte gut. Ich besitze die Mondscheinsonate in mehreren Einspielungen, die liebste ist mir die mit Wilhelm Kempff; der verhangene Beginn, das Adagio sostenuto, diese melancholische Frage, ob er bewohnbar ist, der nachtblaue Traum – Mauritz konnte auf seine Art mithalten, ich spürte, daß ihm diese Musik eine Sprache war, daß er sich darin auszudrücken vermochte. Erstaunt hörte ich zu. Die Serviermädchen warteten betreten, schielten irritiert zur Freifrau, wann sie ein Zeichen gebe, daß aufgetragen werden könne. Professor Flo stand mit geschürzten Lippen, seine Augen wanderten über die dunkel gebeizte Kassettendecke zum gewaltigen Kamin an der Stirnseite der Halle, zu der mit Jagdszenen bemalten Ledertapete, die über einem feingerippten Stucksims gespannt war, der bis zum Kamin lief, etwa einen Meter hoch, in regelmäßigen Abständenvon geschmackvoll ausgeführten Karyatiden unterbrochen, auf denen Vasen mit langstieligen apricotfarbenen Rosen standen. Frau Babette hielt den Kopf gesenkt und betrachtete ihre Fingernägel. Applaus, als Mauritz geendigt hatte und zu seinem Platz rechts neben der Freifrau zurückging, noch benommen von der Musik, seine Augen starrten ins Leere
– wie stellen Sie sich das vor, Herr Kaltmeister, Terror, mit Verlaub, das ist doch genau das, was die getan haben, gegen die Sie die ganze Zeit wettern, – Ich bin mir dieser Tatsache durchaus bewußt, Herr Staatssekretär, aber Sie übersehen den Umstand, daß die Ziele der von mir geplanten Aktionen denjenigen der genannten Gruppierungen genau entgegengesetzt sind, will sagen, die Mittel mögen die gleichen sein, aber nicht das Ziel, die Errichtung eines Ordens- und Kastenstaats, – Wissen Sie eigentlich, daß das, was Sie vorhaben und hier so freimütig äußern, strafbar ist? Das fällt unter die Hochverratsgesetzgebung! Paragraph 129 A – ist Ihnen der bekannt? Über die Gründung und Unterstützung terroristischer Vereinigungen, – Herr Staatssekretär, wollen Sie mir doch bitte nicht mit Gesetzestreue und Moral kommen, wir wissen beide, wie es darum in der politischen Wirklichkeit bestellt ist! Wer regiert das Land? Der Bundespräsident, der hübsche Sonntagsreden schwingen darf, ab und zu mit einem Hammer auf Grundsteine klopfen, Orden an die Brust verdienter Bürger heften? Oder der Kanzler und sein Machtapparat! Ich bin nur Patentanwalt, aber die herrschende Gesetzeslage in bezug auf meinen Vorschlag ist mir bekannt, – Aber was ist der Sinn, Herr Kaltmeister? Einer der Unternehmer breitete die Arme, von der Zigarre in seinen Fingern fiel Glut auf den Teppich, die ein fingernagelgroßes Loch brannte, bevor es jemand bemerkte und das Glimmen austrat, – Verunsicherung ist der Sinn des Terrors. Die Angst der Bürger ist der Sinn des Terrors. DieBürger werden nach Ordnung und
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