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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Gastfreundschaft der Freifrau noch länger zu beanspruchen. Mauritz hörte sich den hastig, doch beinahe flüsternd vorgebrachten Sermon mit abgewandtem Rücken an, er lehnte an einem Bücherregal, hatte sich eine Zigarette angezündet und rauchte in betont langsamen, tiefen Zügen; sein Gesichtsausdruck wechselte von Haß zu tiefer Befriedigung, Triumph und Ekel, ich sah, daß es ihn Mühe kostete, sich zu beherrschen. Die Freifrau klingelte. Das türkische Mädchen erschien, das den Tee eingeschenkt hatte. Die Freifrau trug ihr auf, dem Herrn Staatssekretär bei der Abreise behilflich zu sein. Der Staatssekretär verbeugte sich mechanisch wie eine Marionette und lächelte dazu wie jemand, der etwas nicht begreifen kann
    – die Tanzfläche hatte man nun den jungen Leuten überlassen, Mauritz saß am weißen Klavier, das aus dem Wintergarten nach draußen geschafft worden war, ein dünner schwarzer Zigarillo steckte zwischen seinen Zähnen, er lächelte, schüttelte den Kopf vor Vergnügen, während seine Hände über die Tasten steppten, in jenem schwimmenden Zustand vor dem Betrunkensein, in dem alles sehr schnell wird, ohne an Präzision zu verlieren und aus dem man, wenn man will, mit einem Fingerschnipp zurückkehren kann auf nüchternere Etagen; er fetzte einen Rock ’n’ Roll und Ragtime nach dem anderen ab, das Spiel der Kapelle hatte auf einmal alles Rückgratlose verloren, das waren keine durchschnittlichen Kaffeehausbeschaller mehr, sondern Musiker, die wirklich gefordert wurden von einem, der ihre Sache verstand; ich spürte, daß sie nicht mehr spielten, weil sie dafür bezahlt wurden, sondern weil es ihnen Spaß machte. Mauritz am Klavier hatte den Part des Bandleaders übernommen, die Musiker akzeptierten ihn, spielten ihm Bälle zu, fingen die Bälle auf, die er ihnen zuwarf, es gab kaum Fehler, obwohl nichts Inszeniertes geschah, man vertraute einander, verstand sich und mußte zusehen, wie man aus den Schwierigkeiten, die das Können des anderen vorgab, wieder herauskam. Die Serviermädchen reckten die Hälse und lachten, wenn sie durch den Wintergarten zur anderen Terrasse gingen, wo die Freifrau mit den älteren Gästen saß, manchmal blieben sie stehen, und man sah ihnen an, daß sie das Tablett mit Kaffee oder Wein gern irgendwo abgestellt hätten, um mitzutanzen. Manuela! rief Mauritz, sie stand auf, nahm seine Hand, er spießte den Zigarillo auf einen Kakteenstachel, Pasodoble! befahl er, die Trompete reckte sich wie das Horn eines Stieres, exakt stoßender Dreivierteltakt, melodramatisches Füßeaufstoßen, was bei beiden seltsamerweise nicht lächerlich wirkte, sondern mit dem tiefen Ernst von inihr Spiel völlig versunkenen Komödianten zelebriert wurde, die Tanzfläche füllte sich, aber niemand tanzte so überzeugend wie die beiden, die auch äußerlich sehr gut miteinander harmonierten: Mauritz’ schwarzer Frack mit weißem Hemd und den Rubinmanschetten, Manuelas rotes Kleid mit den eleganten dünnen Trägern; sein blondes Haar und ihre in der Abendsonne matt schimmernde Haut, etwas heller an den Waden, wenn sie ein Bein vorstellte, um das Mauritz dann mit der Spannung einer gebogenen Reitpeitsche tanzte, es gab kein Zögern, kein Mißverständnis in ihren Bewegungen, kein Geschiebe wie bei den anderen oder Nachfedern, Nachwackeln bei den Bewegungsumschwüngen; meine Nachbarin, eine stark geschminkte Frau im unbestimmten Alter zwischen 39 und 39, nippte heftig am Wein und sagte: Es sieht aus, als ob sie was miteinander hätten
    – dem scheint er’s aber gegeben zu haben, gut so, dieser arrogante Typ, mit unserem Geld geschmiert bei jeder Wahl, ohne unsere Hilfe ist doch deren Parteikasse leer wie ein ostdeutsches Kleinstadtsäckel! Möchte bloß mal wissen, was er ihm gesagt hat, das tät’ mich schon interessieren, – Aber verdammt nochmal, Terror, Hans-Georg, willst du so was unterstützen? – Wenn dadurch mal wieder bißchen Zucht und Ordnung in den Laden kommt, die Scheißgewerkschaften zurückgedrängt werden, meine Güte, soll ich dir mal von den letzten Tarifverhandlungen erzählen? Was aus dem Betrieb wird, ist denen völlig wurscht, die prügeln die Lohnerhöhungen durch, und zum Schluß muß ich die Leute entlassen, weil’s einfach zu teuer wird, – Aber bedenke doch mal, wie sich das Geschäftsklima dann entwickelt, die Leute werden doch nur noch in Angst und Schrecken leben und nix mehr kaufen! Dann säuft die Wirtschaft erst recht ab, und was haben wir dann davon,

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