Der Eisvogel - Roman
lauter Stimme vor meinen Ohren und sprach: Laßt herzukommen die Heimsuchung der Stadt, so steht es geschrieben, Ezechiel neun. Der Herr wird ein blutiges Gericht an den gottlosen Bewohnern Jerusalems halten! Der Staatssekretär hob enerviert die Augen zur Decke, starrte den Bischof in einer Mischung aus Faszination und Ekel an, er zitierte Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die da Frieden verkündigen ... Jesaja zweiundfünfzig, lassen wir das doch, Ehrwürden, dieses geschraubte Gerede! Dieses Pathos! Terror, Herr Kaltmeister, hat schon immer unabsehbare Folgen gezeitigt. Abgesehen davon, daß es strafbar ist, was Sie vorhaben, ist es auch unsinnig, ja geradezu verbrecherisch. Terror führt nach allen Erfahrungen, die wir haben, nur zu einer Extremisierung der Gesellschaft, er ändert nichts, denn er richtet sich gegen die, für die er eigentlich gedacht war! Immer sind es die kleinen Leute, die am meisten unter solchen Dingen zu leiden haben. Terror nützt keiner der etablierten Parteien, sondern nur extremen Kräften, die ich nicht unterstütze. Gerade die Lehren, die wir aus der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gezogen haben, – Was wollen Sie tun? schnitt ihm Mauritz das Wort ab, was gedenken Sie zu tun, Herr Staatssekretär? Uns verpfeifen? Der Staatssekretär rückte an der Brille, seinBlick bekam etwas Eisiges: Wollen Sie mir drohen, Herr Kaltmeister? Er stand auf, ging hin und her, wobei die Köpfe der Anwesenden ihm folgten. Sie machen sich strafbar mit dem, was Sie vorhaben, dabei bleibt es, ich warne Sie! Wenn das Ihr Ernst ist, werde ich Sie anzeigen, und im übrigen muß ich sagen, daß die Unterstützung unserer Partei sich keinesfalls auf derartige Umtriebe erstreckt, damit das klar ist! Terror! Mann, sind Sie verrückt? Wollen Sie dazu beitragen, dieses Land endgültig in die Grube zu reißen? Nicht mit unserer Partei. Wir unterstützen doch keine terroristischen Machenschaften! – Wirklich nicht, sagte Mauritz und lächelte ironisch. Ich glaube, wir müssen uns einmal unter vier Augen unterhalten, Herr Staatssekretär. Von mir aus können Sie sich auf Aktivitäten innerhalb der Organisation Wiedergeburt – die Sie und Ihre Partei sehr wohl unterstützen – zurückziehen, wenn Sie nicht mitmachen wollen; aber hören Sie auf, hier den Moralapostel zu spielen. Anzeigen? Nein, anzeigen werden Sie mich nicht. Folgen Sie mir bitte nach draußen, ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, das Sie sehr interessieren dürfte. Der Staatssekretär blinzelte irritiert; Mauritz hatte in ziemlich respektlosem Ton mit ihm gesprochen. Die beiden verschwanden für fünf Minuten. In ihrer Abwesenheit herrschte betretenes Schweigen im Raum. Der Bischof putzte ausgiebig seine Brille, hielt die Gläser gegen das Licht, kniff dabei die Augen zusammen, wobei sich sein Gesicht in viele Rollwülste faltete und dem eines Boxerhundbabys glich, rieb die fleischige Nase, auf der der Brillenbügel einen roten Abdruck hinterlassen hatte; der Herr mit dem Bismarckschnitt räusperte sich mehrmals und fragte die Freifrau, ob er rauchen dürfe, was sie ihm mit einer müden Handbewegung und einem Fingerzeig auf den Brandfleck im Teppich gestattete, worauf auch der Spirituosenfabrikant Edgar sich eine Zigarette anzündete. Einer der Herren inkapitänsblauen Anzügen stand auf, ging zu einem Beistelltischchen, dessen grazil geschnitzte Beine wie Rehläufe wirkten, und schenkte sich ein Glas Whiskey ein. Das Klirren der Eiswürfel war so laut, daß Manuela, die mit hochgezogenen Schultern saß, als ob sie fröstelte, zusammenzuckte. Der Staatssekretär und Mauritz traten wieder ein, Mauritz wirkte erschöpft wie nach einer schweren Auseinandersetzung, seine Hände zuckten, er ruckte mit den Schultern, runzelte die Stirn, entspannte sie wieder. Der Staatssekretär mußte sich auf das Beistelltischchen stützen, Halt suchen an Stuhl- und Sessellehnen, als er zu seinem Platz taumelte, um seine Aktenmappe zu holen; er bat die Freifrau um Entschuldigung, daß er gehen müsse. Die Lage der Dinge ... Er stockte. Was er von Herrn Kaltmeister gehört habe, erfordere seinen Aufbruch, er könne nicht länger bleiben, es sei ihm unmöglich, nein, nichts Schlimmes, nichts, das von allgemeiner Bedeutung für die Arbeit der Organisation sei, es handele sich um etwas Privates, das ihm Herr Kaltmeister mitgeteilt habe, ganz und gar privat, nein, ihn, den Staatssekretär, betreffend; aber er sehe sich außerstande, die
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