Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
Vom Netzwerk:
Sicherheit verlangen, und je weiter der Terror in die Gesellschaft eindringt, desto stärker wird dieses Verlangen werden. Das nützt den konservativen Parteien, es schadet der regierenden Partei, und dies um so mehr, je weniger es ihr gelingt, das Problem in den Griff zu bekommen. Hier müssen Sie mir zuarbeiten. Ich werde natürlich, wenn ich Aktionen plane und durchführe, einiges wissen müssen. Die Methoden der Polizei. Des Geheimdiensts. Ich werde Tarnadressen brauchen, Deckidentitäten für mich und Mitstreiter, wir müssen unsere Leute in entsprechenden Apparaten plazieren und zugleich verhindern, daß deren Leute uns infiltrieren, – Und was machen Sie, wenn wir die regierende Partei sind ab der nächsten Wahl? Wozu sollte ich Terror bemühen, wenn das ganz einfach durch einen Wahlsieg zu klären ist, ohne Ihr, mit Verlaub, absurdes Szenario? – Dann, entgegnete Mauritz, haben wir ja wieder genau die gleiche Situation, die im Land seit Jahr und Tag herrscht: Stillstand, gegenseitige Blockade, keine grundsätzlichen Veränderungen! Ich dachte, wir hätten uns darüber unterhalten, und darüber, daß man Opfer bringen muß, will man wirklich etwas bewegen! Normale Wahlen, Herr Staatssekretär! Und was ist das Ergebnis normaler Wahlen? Ein Drittel SPD, ein Drittel CDU/CSU, die FDP gerade über die Fünfprozenthürde, die Grünen bei acht bis zehn Prozent – wie wollen Sie da Reformen zustande bringen? Ich dachte wirklich, daß wir das genügend diskutiert hätten, – Vom Standpunkt des Unternehmers kann ich nur sagen, daß das, was Sie vorhaben, Wahnsinn ist, unberechenbarer Wahnsinn, der sich, in die Tat umgesetzt, höchstwahrscheinlich gegen uns selbst kehren und die Aufbauarbeit der Organisation Wiedergeburt zunichte machen wird, eine Arbeit mehrerer Jahre, an der Sie selbst, Herr Kaltmeister, in maßgeblicher Position beteiligt gewesen sind! Terror! Ich weiß, was das bedeutet, ichkenne den Fall Schleyer nicht nur aus den Zeitungen, – Ich weiß auch, was Terror bedeutet, immerhin habe ich meine Eltern dabei verloren, preßte Mauritz mit wutblassem Gesicht hervor. Und meinen Großonkel, den Hausherren dieses Anwesens, dessen Gastfreundschaft wir heute genießen! – Ja, warf die Freifrau ein, ihr Gesicht hatte vor Erregung rote Flecken bekommen. Habt ihr vergessen, wie Herbert und Fritzi und Bernhard umgekommen sind? Habt ihr die Entführung vergessen, die Fotos? Daß sie sie haben verhungern lassen? Habt ihr vergessen, wie Bernhard die Mondscheinsonate gespielt hat am Abend, bevor sie losgefahren sind? Die Stimme der Freifrau wurde brüchig, sie wandte den Kopf, ich sah, daß ihre Lippen zitterten, – Wir haben es nicht vergessen, Hildegard, versuchte der Bischof sie zu trösten, er nahm ihre Hand. Der Staatssekretär schnaubte durch die Nase, schüttelte den Kopf, wandte sich an den Bischof: Was sagen Sie eigentlich dazu, was uns Kaltmeister hier einzureden versucht, Sie als Christenmensch und Nachfolger der Apostel? Der Bischof musterte den Staatssekretär, die achteckige Brille blitzte auf, er antwortete mit einer Schärfe, die mich überraschte: Die Kirche, Herr Staatssekretär, war nicht immer nur friedlich, wie Sie wissen. Mein Herz sagt mir, daß es verwerflich ist, was uns Mauritz erzählt, was er plant! Zugleich sagt mir mein Kopf, daß die Wege des Herrn unerforschlich sind und daß schon oft aus dem scheinbar Bösen das Gute erwachsen ist durch Seine Gnade ... Die Zeit ist schlimm. Die Menschen stehen nicht mehr im Glauben. Der Götze Geld beherrscht alles, und wenn es überhaupt noch Reste von Glauben gibt, dann den an die Macht des Geldes! Ich als einer der Realpolitiker innerhalb der Kongregation sehe die Kirche auf dem Weg der Auslöschung, auch der Selbstauslöschung, begriffen! Ich frage mich täglich, wie man den Verfall aufhalten kann ... Ob es nicht an der Zeitist, das Undenkbare zu denken und über den Schatten seines bisherigen Denkens zu springen ... Ob in dem, was wir nicht zu denken wagen, die Lösung liegt ... Das Gute, das Böse – hohe, durchaus unklare Begriffe, die die gelehrtesten und scharfsinnigsten Geister der Kirche und Philosophie, er warf mir einen Blick zu, nickte wie um Bestätigung bittend, seit Jahrtausenden beschäftigen ... Wenn wir wollen, daß die Gesellschaft sich erneuert, müssen wir vielleicht den Mut zu Grenzüberschreitungen haben ... Urteilen Sie nicht, ich werde einst vor einem anderen Richter Rede und Antwort stehen müssen. Und er rief mit

Weitere Kostenlose Bücher