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Der Elefant verschwindet

Titel: Der Elefant verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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war etwas nichtssagend, aber er sah gut aus und machte keinen schlechten Eindruck. Er hatte große Hände mit langen Fingern.
    Dass ich so viel über diesen Mann weiß, liegt daran, dass ich die beiden am Flughafen abholte. Ich bekam plötzlich ein Telegramm aus Beirut, in dem nur das Ankunftsdatum und die Flugnummer standen. Sie wollte anscheinend, dass ich zum Flughafen kam. Als das Flugzeug gelandet war – zu meinem Pech verspätete es sich aufgrund schlechter Wetterverhältnisse um vier Stunden, während derer ich in der Kaffee-Lounge drei Zeitschriften las –, kamen sie Arm in Arm aus dem Gate. Sie wirkten wie ein nettes junges Ehepaar. Sie stellte mir den Mann vor. Wir gaben uns fast reflexartig die Hand. Er hatte einen festen Händedruck, wie ihn diejenigen oft besitzen, die lange im Ausland gelebt haben. Dann gingen wir in ein Restaurant. Sie wollte unbedingt Tendon essen und aß also Tendon, während er und ich ein Bier vom Fass tranken.
    Er erzählte, dass er Handelsgeschäfte betreibe, doch über den Inhalt dieser Geschäfte sagte er nichts weiter. Mir war nicht ganz klar, ob er nicht darüber sprechen wollte oder ob er glaubte, mich damit zu langweilen, und sich deshalb zurückhielt. Aber mir lag, ehrlich gesagt, auch nicht unbedingt an einem Gespräch über Handelsgeschäfte, und so fragte ich nicht nach. Da wir keinen besonderen Gesprächsstoff hatten, redeten wir über die Sicherheitslage in Beirut und die Wasserleitungen in Tunis. Er schien sich von Nordafrika bis zum Mittleren Osten ziemlich gut auszukennen.
    Als sie mit ihrem Tendon fertig war, gähnte sie laut und sagte, dass sie müde sei. Sie machte den Eindruck, als würde sie auf der Stelle einschlafen. Ich vergaß es zu erwähnen, aber sie hatte die Angewohnheit, egal an welchem Ort, plötzlich müde zu werden. Er meinte, dass er sie mit dem Taxi nach Hause bringe. Ich sagte, dass ich mit der Bahn zurückführe, da die Bahn schneller sei. Ich hatte keine Ahnung, warum ich eigentlich extra zum Flughafen herausgekommen war.
    »Es war nett, Sie kennenzulernen«, sagte er zu mir, als wolle er sich entschuldigen.
    »Ganz meinerseits«, erwiderte ich.
    Ich habe ihn danach mehrmals wiedergetroffen. Jedes Mal, wenn ich ihr zufällig irgendwo begegnete, stand er mit Sicherheit neben ihr. Verabredete ich mich mit ihr, brachte er sie mit dem Auto zu unserem Treffpunkt. Er fuhr einen makellosen silberfarbenen deutschen Sportwagen. Da ich fast nichts von Autos verstehe, kann ich keine detaillierten Auskünfte abgeben, aber es war ein Wagen wie aus einem Schwarzweißfilm von Federico Fellini. Kein Wagen, wie ihn normale Angestellte fuhren.
    »Er hat sicher sehr viel Geld«, fragte ich sie einmal.
    »Ja«, sagte sie eher desinteressiert, »kann sein.«
    »Verdient man so viel im Handelsgeschäft?«
    »Handelsgeschäft?«
    »Das sagte er doch. Er erzählte, dass er Handelsgeschäfte betreibe.«
    »Ach ja, wird wohl so sein, aber … ich weiß es nicht genau. Er scheint nicht besonders viel zu arbeiten. Obwohl er sich oft mit Leuten trifft und viel telefoniert.«
    Wie in Fitzgeralds »The Great Gatsby«, dachte ich. Ein rätselhafter Jüngling mit viel Geld, von dem niemand wusste, was er tat.
    Eines Sonntags im Oktober rief sie mich an. Meine Frau war schon morgens zu Verwandten gefahren, und ich war allein. Es war ein schöner sonniger Tag, und ich aß einen Apfel, während ich den Kampferbaum im Garten betrachtete. Ich hatte an diesem Tag bereits sieben Äpfel gegessen. Das passiert manchmal. Fast krankhaft bekomme ich Lust auf Äpfel. Vielleicht ist es ein Omen.
    »Wir sind gerade in der Nähe. Passt es dir, wenn wir vorbeikommen?«
    »Wir?«, fragte ich zurück.
    »Ich und er«, sagte sie.
    »Ja, natürlich«, sagte ich.
    »Gut, wir sind in einer halben Stunde da«, sagte sie und legte auf.
    Ich blieb noch einen Moment geistesabwesend auf dem Sofa sitzen, dann ging ich ins Bad, nahm eine Dusche und rasierte mich. Ich ließ meinen Körper trocknen und säuberte mir die Ohren. Ich erwog, das Zimmer aufzuräumen, gab den Gedanken aber wieder auf. Um ordentlich aufzuräumen, reichte die Zeit nicht, und anstatt alles nur halb aufzuräumen, ließ ich es lieber ganz. Überall im Zimmer verstreut lagen Bücher, Zeitschriften, Briefe, Platten, Bleistifte, Pullover und andere Dinge herum, aber es machte keinen dreckigen Eindruck. Ich war gerade mit einer Arbeit fertig geworden und hatte zu nichts Lust.
    Ich setzte mich aufs Sofa, betrachtete den Kampferbaum und

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