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Der Elefant verschwindet

Titel: Der Elefant verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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spielten die Walzer von Johann Strauss. Mir fiel aus irgendeinem Grund ein Theaterstück ein, das wir in der Grundschule beim Schulfest aufgeführt hatten. Ich hatte dabei einen alten Mann in einem Handschuhladen gespielt. Ein Fuchskind kommt in den Handschuhladen, um etwas zu kaufen. Aber das Geld vom Fuchskind reicht nicht für die Handschuhe.
    »Damit kannst du keine Handschuhe kaufen«, sage ich. Es war sozusagen die Rolle des Bösewichts.
    »Aber der Mutter ist so kalt. Ihre Haut ist voller Schründe. Ich bitte Sie auch sehr herzlich«, sagt das Fuchskind.
    »Nein, unmöglich. Spar etwas Geld und dann komm wieder. Dann …«
    »Manchmal brenne ich Scheunen ab«, sagte er.
    »Wie bitte?«, fragte ich.
    Ich war in Gedanken woanders gewesen und glaubte, mich verhört zu haben.
    »Manchmal brenne ich Scheunen ab«, wiederholte er.
    Ich sah zu ihm rüber. Er fuhr mit der Spitze seines Fingernagels über das Muster auf dem Feuerzeug. Dann inhalierte er den Rauch kräftig bis tief in die Lungen, hielt ihn etwa zehn Sekunden an und atmete langsam wieder aus. Wie Ektoplasma schwebte der Rauch aus seinem Mund in die Luft. Er reichte mir den Joint.
    »Ziemlich gutes Zeug, nicht?«, sagte er.
    Ich nickte.
    »Ich habe es aus Indien mitgebracht. Ich habe nur besonders gute Ware genommen. Bei diesem Zeug fallen einem komischerweise alle möglichen Dinge ein. Vor allem Lichter, Gerüche und so was. Die Qualität des Gedächtnisses …« – hier hielt er inne und schnippte, als ob er nach den richtigen Worten suchte, ein paar Mal leicht mit den Fingern – »verändert sich völlig. Finden Sie nicht?«
    Ich sagte, dass ich das auch fände. Ich hatte mich gerade an die Geräusche auf der Bühne beim Schulfest und an den Geruch der Farben erinnert, mit denen wir die Pappkulissen bemalt hatten.
    »Ich würde gern mehr von den Scheunen hören«, sagte ich.
    Er sah mich an. Sein Gesicht war nach wie vor ohne jeglichen Ausdruck.
    »Kann ich darüber sprechen?«, fragte er.
    »Natürlich«, sagte ich.
    »Es ist ganz einfach. Ich gieße Benzin aus und werfe ein brennendes Streichholz hinein. Das Feuer lodert auf und das war’s. Es dauert keine fünfzehn Minuten, bis alles verbrannt ist.«
    »Und dann?«, fragte ich und schwieg. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Warum brennen Sie denn die Scheunen ab?«
    »Finden Sie das komisch?«
    »Weiß ich nicht. Sie brennen Scheunen ab, ich tue es nicht. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Mir geht es nicht so sehr darum, welches von beidem komisch ist, sondern zunächst einmal möchte ich wissen, worin dieser Unterschied besteht. Außerdem haben Sie vom Scheunenabbrennen angefangen.«
    »Ja«, sagte er. »Das stimmt. Übrigens, haben Sie eine Platte von Ravi Shankar?«
    Ich verneinte.
    Er sah eine Weile zerstreut vor sich hin. Sein Bewusstsein schien sich wie Knetmasse hin und her zu winden. Vielleicht war es aber auch mein Bewusstsein, das sich hin und her wand.
    »Alle zwei Monate ungefähr brenne ich eine Scheune ab«, sagte er. Er schnippte wieder mit den Fingern. »Ich glaube, das ist der beste Rhythmus. Für mich natürlich, meine ich.«
    Ich nickte vage. Rhythmus?
    »Brennen Sie eigentlich Ihre eigenen Scheunen ab?«, versuchte ich zu fragen.
    Er sah mich verständnislos an. »Warum sollte ich meine eigenen Scheunen abbrennen? Glauben Sie, dass ich so viele Scheunen besitze?«
    »Das heißt also«, sagte ich, »dass Sie Scheunen von anderen Leuten abbrennen?«
    »Genau«, sagte er. »Natürlich. Es sind anderer Leute Scheunen. Deswegen ist es ja schließlich eine Straftat. Es ist genauso eindeutig eine Straftat, wie Sie und ich jetzt hier einen Joint rauchen.«
    Ich schwieg, die Ellbogen auf die Stuhllehnen gestützt.
    »Ich stecke also mutwillig Scheunen, die anderen Leuten gehören, in Brand. Natürlich wähle ich dabei die aus, bei denen kein großes Feuer entstehen kann. Ich möchte ja kein Feuer verursachen. Ich möchte einfach bloß Scheunen abbrennen.«
    Ich nickte und drückte den heruntergebrannten Joint aus. »Aber wenn man Sie erwischt, sind Sie dran. Es ist auf jeden Fall Brandstiftung, und wenn Sie Pech haben, kommen Sie ins Gefängnis.«
    »Die kriegen mich nicht«, sagte er unbekümmert. »Ich gieße das Benzin aus, zünde ein Streichholz an und haue ab. Und dann guck ich es mir aus der Ferne in aller Ruhe mit dem Fernglas an. Die kriegen mich nicht. Auch die Polizei macht nicht viel Aufhebens davon, wenn eine dieser mickrigen Scheunen brennt.«
    Das stimmt

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