Der Elefanten-Tempel
eine Seitentasche des Koffers, als Sofia gerade im Bad war.
Am nächsten Morgen – Sofia schlief noch tief – quälte sich Ricarda mühsam bei Sonnenaufgang aus dem Bett, um mit Gulap auf den Markt in Lampang zu gehen. Die Versuchung, liegen zu bleiben, war riesengroß und Ricarda gewann den Kampf gegen ihren inneren Schweinehund nur mit knappem Vorsprung. Aber sie wollte unbedingt mit.
Sie ahnte, dass sie selbst und Gulap auf das Gleiche hofften – darauf, Tao mit den anderen Mönchen zu sehen, vielleicht kurz mit ihm reden zu können, zu erfahren, wie seine erste Zeit im Tempel sich angefühlt hatte. Schon jetzt vermisste Ricarda ihn, seine zutrauliche Freundlichkeit, seine Freude darüber, wenn sie es geschafft hatten, sich mit Gesten zu unterhalten. Gulap hatte einen Behälter mit Essen dabei; Ricarda ahnte, dass er Taos Lieblingsspeisen enthielt.
Ah, da waren die Mönche, und tatsächlich, Tao war bei ihnen. Ricarda strahlte. Glück gehabt!
Gulap grüßte die heiligen Männer und ihren Sohn respektvoll mit einem Wai , dann stellte sie das vorbereitete Essen vor ihn hin. Tao hob es auf. Ein flüchtiges Lächeln glitt über seine Züge, doch dann wurde sein Gesicht wieder so unbeteiligt und verschlossen wie das der anderen Mönche. Ohne Dank, ohne ein Wort ging er mit den anderen weiter.
Die Freude sickerte aus Ricarda heraus. Natürlich, er hatte so reagieren müssen, was hatte sie erwartet? Gleichgültig folgte sie Gulap, während die ihre restlichen Einkäufe erledigte. Sie ahnte, dass sie Tao vor ihrer Abreise nicht wiedersehen würde.
An diesem Tag stand ein Ausritt mit den Elefanten auf dem Programm. Auf matschigen Pfaden trotteten Mae Suchada, Daeng, Mae Jai Di und zwei andere Elefanten durch den Dschungel. Ricarda versuchte vergeblich Daeng vom Naschen abzuhalten. Alle paar Meter hielt sie an, um ein paar leckere Blätter abzurupfen, oder sie riss eine saftige Kletterpflanze herunter, um sie mit dem Rüssel ins Maul zu befördern.
» Yaa! Hör auf!«, rief Ricarda ärgerlich – es kam ihr immer noch etwas seltsam vor, etwas zu sagen, was wie »Ja!« klang, wenn ihr Elefant sich danebenbenahm. Sie befahl Daeng vorwärtszugehen. Doch diesmal hatte sie nicht den Eindruck, dass ihre Elefantin auf sie hörte. Erst als die anderen Elefanten schon ein ganzes Stück entfernt waren, bequemte Daeng sich, Ricardas » Pai, pai! «-Rufe zu beachten und den anderen zu folgen.
»Mensch, ihr seid ja zwei Trödeltanten heute!«, grinste Sofia, als sie ausnahmsweise mal nah hintereinanderritten.
»Wieso zwei?« Ricarda entschied sich für härtere Maßnahmen und hielt Daeng den Ankush hin, sodass sie ihn sehen konnte. »Schau mal da, weißt du, was das ist? Los, ein bisschen flotter bitte!«
Daeng stieß ein tiefes, rumpelndes Geräusch aus, vielleicht eine Antwort. Wahrscheinlich eine freche, denn schneller ging sie danach nicht.
Trotz allem war es ein schöner Ritt. Daengs wiegende Schritte trugen sie immer tiefer in den Wald hinein. Dichtgrün wucherte der Dschungel um sie herum, die Luft roch nach Pflanzen und feuchter Erde. Dort, wo Lichtstrahlen durch das Blätterdach drangen, tummelten sich Schmetterlinge, klein und bunt wie in die Luft geworfenes Konfetti. Als sie einen Waldbach durchquerten, sichtete Ricarda einen Reiher mit schlankem rötlichem Hals, der bewegungslos auf einem Stein hockte und sie beobachtete.
Dann ging es bergauf und sie kamen an einen steilen, matschigen Hang mitten im Wald. Fast senkrecht ging es dort nach oben, überall ragten die Reste von abgestorbenen Baumstämmen lanzenspitz aus dem Boden. Nicht mal zu Fuß hätte sich Ricarda da raufgetraut, höchstens auf Händen und Knien. Ungläubig und entsetzt sah Ricarda, dass Ruang mit Mae Suchada direkt auf den Hang zuritt. Niemals kommen wir da hoch, schoss es Ricarda durch den Kopf, doch dann begann Daeng auch schon zu klettern. Mit sicherem Tritt, ohne jede Probleme.
»Hier kann man sich nirgendwo festhalten!«, rief Sofia, die hinter Mae Jai Dis Kopf saß. »Ich glaube, ich rutsche gleich runter!«
»Pack sie an den Ohren«, riet ihr Ricarda, befolgte gleich mal ihren eigenen Tipp und überließ es Daeng,sich ihren Weg den Hang hinauf zu suchen. Auf einmal konnte sie sich vorstellen, wie es früher in Thailand gewesen sein musste, als es außerhalb der Ortschaften nur wenige Straßen gab. Zur Regenzeit versank das Land im Matsch, und wer durch den Dschungel von einem Ort zum anderen reisen musste, der schaffte das nur auf
Weitere Kostenlose Bücher